Bin ich es wert?

07.02.2022


Bin ich es wert?

Dr. Stefan Gerhardinger - Der Experte für Gesundheit am Arbeitsplatz
Foto: Schophoff

Ich bin 21 Treppen für dieses Interview gestiegen. Sind das bereits die ersten Schritte in ein gesundes Arbeitsleben?

Dr. Stefan Gerhardinger: Für die körperliche Gesundheit schadet das sicher nichts. Was wir meist jedoch zu wenig im Blick haben, ist die seelische Gesundheit. Es geht also um die Frage: Wie sieht ein psychisch gesunder Arbeitsplatz aus? Bin ich über- oder unterfordert, gibt es Klarheit in den Aufgaben, kann ich etwas gestalten? Gibt es Transparenz im Unternehmen? Werden die Mitarbeitenden wertgeschätzt?

Mal ehrlich, passen Arbeit und Gesundheit überhaupt zusammen?

Studien belegen: 42 Prozent der Frühberentungen kommen in Deutschland aufgrund psychischer Probleme zustande. Da könnte man tatsächlich meinen: Arbeit macht krank. Das würde ich aber nie sagen. Sonst würden ja alle, die arbeiten, krank werden. Die meisten bleiben aber gesund. Sicherlich sind jene begünstigt, die robuster sind, achtsamer für ihre Umwelt und ein gutes Selbstmanagement haben. Das lässt sich lernen. Dafür gibt es caritasGROW.

Wenn Sie nur einen einzigen Tipp für ein gesundes Arbeitsleben geben dürften, welcher wäre das?

Wir müssen wieder lernen, Pausen einzuhalten. Ein Lasterfahrer hat Lenkzeiten, die er einhalten muss, sonst bekommt er eine Strafe. In anderen Branchen wird das Nichteinhalten der Pause natürlich nicht geahndet – deswegen brauchen Mitarbeitende ein gutes Selbstmanagement. Es ist ein Trugschluss, dass man durch den Verzicht auf Pausen irgendetwas reinarbeiten kann. Die geistige Energie steht nicht unendlich zur Verfügung. Wir werden erschöpft und müde und brauchen für denselben Workload mehr Zeit. Effektiver ist es: Man macht eine Pause.

Wann war für Sie klar: Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ist ein wichtiges Thema?

Das kam schrittweise. Als Psychologe und Psychotherapeut arbeite ich natürlich schon immer mit der Frage, wie wir Menschen seelisch stärken können, damit sie Belastungssituationen, die es sowohl im Beruf wie auch im Privaten immer wieder geben wird, aushalten können. Erstaunt bin ich manchmal davon, wie viel kleine Veränderungen im Alltag bereits bewirken: Mein Hausarzt hat mir beispielsweise zuletzt eine Blutdruckmanschette empfohlen, um meinen etwas zu hohen Blutdruck im Blick zu halten. Allein meine erhöhte Aufmerksamkeit und das ständige Feedback des Messgeräts, haben den Blutdruck deutlich gesenkt, auf ein gesundes Level.

Sind gesunde Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auch glückliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen?

Glück ist ein großes Wort. Aber umgekehrt stimmt es in jedem Fall: Je ungesünder wir leben, desto weniger glücklich sind wir auch. Der Zusammenhang zwischen Körper und Psyche ist eindeutig.

Wie weit entfernt ist die moderne Arbeitswelt vom Ideal eines gesunden Arbeitsplatzes?

Sehr weit. Aber das zeichnet ein Ideal ja aus. Den idealen Arbeitsplatz gibt es nicht. Und das ist auch gut so. Schließlich ist die Erde nicht unbedingt der Ort für paradiesische Zustände. Es wird aber viel getan, um sich diesem Ideal zu nähern. Ein Riesenthema ist beispielsweise die Wertschätzung. Man meint immer, die sei verwirklicht, wenn man den Mitarbeitenden ein ‚Guten Morgen! Wie geht es Ihnen?‘ zuruft. Doch wieviel aufrichtiges Interesse steckt tatsächlich hinter dieser Floskel? Auch Kontrolle kann Wertschätzung sein. Das klingt erstmal paradox. Doch es gibt Mitarbeitende, die sitzen den ganzen Tag in ihrem Büro und niemand interessiert sich dafür. Das ist grausam. Mitarbeitende wollen gesehen werden. Man vergisst das so leicht.

Die Caritas Regensburg feiert in diesem Jahr 100. Geburtstag. Blicken wir einmal auf die nächsten 100 Jahre: Wie geht es den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen dann? Leben und arbeiten sie gesünder als heute?

Wenn man die Entwicklung der letzten Dekaden betrachtet, wird das Arbeitsleben eher immer ungesünder. Die Arbeit verdichtet sich, der Komplexitätsgrad steigt und die Zahl derer, die sie erledigen muss, wird geringer. Die Arbeitswelt verändert sich schneller. Kaum haben wir uns in ein Programm eingearbeitet, gibt es ein Update. Vorschriften werden nicht nur in Corona-Zeiten rasch verändert. Wenn dieses Arbeitsleben weiter funktionieren soll, dann müssen wir in die Menschen investieren, in ihre seelische Widerstandkraft. Jedes Produktions-Unternehmen wartet regelmäßig seine Maschinen. Doch die Menschen warten wir noch nicht regelmäßig. Deshalb gibt es caritasGROW: Um unsere Mitarbeitenden zu stärken und deren persönliches Wachstum voranzubringen. Natürlich bieten wir die Workshops auch extern an, für Mitarbeitende anderer Unternehmen.

caritasGROW startete 2021. Wie werden die Seminare angenommen?

Die Teilnehmerzahlen steigen. Und dennoch gibt es, wie bei allem Neuen, ein Fremdeln, eine gewisse Zurückhaltung. Ich habe den Eindruck, dass sich viele fragen: Darf ich das überhaupt, am Arbeitsplatz in meiner Persönlichkeit wachsen? Bin ich das wert? Darauf gibt es nur eine Antwort: Ja. Wenn nicht Sie, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann dann?

 

Sie wollen mehr erfahren über CaritasGROW? Hier geht es zur Anmeldung und die Workshops im Detail:  https://caritas-grow.de/. Oder direkt per E-Mail an: s.gerhardinger@caritas-regensburg.de

Besuchen Sie uns auf unseren
Social Media Kanälen:

Caritasverband für
die Diözese Regensburg e.V.
Von-der-Tann-Straße 7
93047 Regensburg

T +49 941 502 10
F +49 941 502 11 25
info@caritas-regensburg.de
www.caritas-regensburg.de