Mitte März brachte die Regensburger Caritas Kinderhilfe Ukraine Sachspenden nach Warschau. Zurück kam ein Bus vollbesetzt mit Kriegsflüchtlingen, darunter Waisenkinder aus Odessa. Unverzichtbar für das Gelingen der Hilfsaktion waren die beiden Dolmetscherinnen Valentina Hensch und Anette Zywert. Wie erlebten sie die Reise? Ein Gespräch über zwei Wunder.
"Ich habe auf dieser Reise zwei Wunder erlebt."
Die Dolmetscherinnen:
Valentina Hensch spricht Russisch. Sie ist 1962 in einem sibirischen Dorf geboren und arbeitet seit 2008 beim Caritasverband Regensburg im Referat Bau und Technik. Sie wuchs im Wolgagebiet auf, arbeitete dort als Lebensmitteltechnologin in einer großen Konfiserie. „Und plötzlich war alles weg“, erzählt sie heute. Der Zerfall der Sowjetunion zerstörte auch ihre Normalität. Die Russlanddeutsche kam als letzte aus ihrer Verwandtschaft im Jahr 1997 nach Deutschland.
Anette Zywert spricht Polnisch. Sie ist 1971 in der Stadt Ruda in Oberschlesien in Polen geboren. Als sie 17 Jahre alt war, wanderten ihre Eltern nach Deutschland aus. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin arbeitet seit 1999 beim Caritasverband Regensburg, zunächst in der Technischen Abteilung, anschließend bei den Sozialpflegerischen Diensten und beim Krisendienst Horizont, mittlerweile im Referat Verbandspolitik und Kommunikation.
Die Caritas Kinderhilfe Ukraine:
Kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine war klar: Die Caritas Polen wird tausende Kinder aus ukrainischen Heimen aufnehmen, sich um deren Unterkunft und Versorgung kümmern. Dafür braucht sie Unterstützung. Die Caritas Regensburg hilft mit Geld- und Sachspenden und lancierte die Hilfsaktion „Caritas Kinderhilfe Ukraine“ am 2. März, in der ersten Woche nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Mitte März hat ein Hilfstransport der Caritas Regensburg, begleitet von Diözesan-Caritasdirektor Michael Weißmann, Sachspenden direkt nach Warschau zur Caritas Polen gebracht. Mit nach Regensburg kamen Waisenkinder aus der Ukraine, die seither im Jugendheim Burg Regeldorff der Pfadfinder St. Wolfgang in Regendorf wohnen. Unverzichtbar für das Gelingen der Hilfsaktion waren die beiden Dolmetscherinnen Valentina Hensch und Anette Zywert.
Das Interview:
Am Donnerstag, den 24. Februar, begann der Überfall Russlands auf die Ukraine. Wie reagierten Sie auf diese Nachricht?
Valentina Hensch: Ich war sprachlos. Ich hätte nicht gedacht, dass uns das noch passieren kann. Am nächsten Tag hat mich ein Bekannter angerufen, dessen Frau aus der Ukraine stammt: Er hat gesagt, er fährt mit dem Auto zur Grenze, um Hilfsgüter dorthin zu bringen. Ich habe sofort ein Paket mit Hygieneartikeln und warmen Anziehsachen gepackt, um es ihm mitzugeben. Am Montag in der Arbeit habe ich mich dann als freiwillige Helferin gemeldet. Ich habe sofort gesagt: Ich kann mit meiner Sprache helfen.
Anette Zywert: Für mich war die Nachricht vom Krieg erschütternd. Sie hat mich enorm aufgewühlt. Und mir war sofort klar, wenn ich nur irgendwie kann, helfe ich. Ich habe den Kalten Krieg noch in den Knochen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man unterjocht wird und in ständiger Bedrohung lebt. Im Caritasverband entstand bald ein heißer Draht zur Caritas Polen, die sich der Aufgabe verschrieben hat, sich um ukrainische Heim- und Waisenkinder zu kümmern. Die Caritas Regensburg lancierte die Caritas Kinderhilfe Ukraine, um sie dabei zu unterstützen. Eine überwältigende Menge an Sachspenden kam in kürzester Zeit zusammen. Unser Caritasdirektor wollte sie persönlich nach Warschau bringen. Als ich gefragt wurde, ob ich dolmetschen könnte, sagte ich sofort zu.
Wie haben Sie die Reise nach Warschau erlebt?
Valentina Hensch: Vierzehn Stunden dauerte die Busreise und doch empfand ich die Fahrt als locker. Ich hatte viele positive Gedanken in mir und war sicher: Alles wird gut.
Anette Zywert: Ich war angespannt und habe überhaupt nicht geschlafen. Ich war aufgeregt, was uns in Warschau erwarten würde.
Sie haben ukrainische Waisenkinder mit nach Regensburg gebracht. Wussten Sie bereits bei der Abreise davon?
Anette Zywert: Nein. Erst im Bus hat Caritasdirektor Michael Weißmann einen Anruf von Diakon Fritz Reil erhalten. Fritz Reil pflegt bereits seit Jahrzenten Kontakte in die Partnerstadt Odessa und unterstützt Projekte mit Heimkindern. Nun sollten wir geflüchtete Kinder und deren Betreuerin am Warschauer Hauptbahnhof treffen und mit nach Regensburg bringen.
Doch es gab Probleme.
Valentina Hensch: Ja. Am Samstagvormittag erhielten wir die Nachricht, dass den Kindern ein Bewegungsverbot aufgrund fehlender Dokumente erteilt wurde. Sie warteten nun in einem Hotel, etwa 70 Kilometer von Warschau entfernt – und durften nicht weg.
Anette Zywert: Die Verantwortlichen in Polen sind stark sensibilisiert für das Thema Kinderschmuggel und Menschenhandel. Wenn nicht ganz klar ist, wer wen abholt und wohin es geht, wird es schwierig. Da wird mit hohen Qualitätsstandards gearbeitet. Wir haben das verstanden und unterstützt – aber in unserer Situation war es hinderlich.
Wie lösten Sie das Problem?
Valentina Hensch: Der Caritasdirektor hat alles versucht und den gesamten Samstagvormittag mit den verschiedensten Stellen telefoniert. Anette und ich haben, wo nötig, übersetzt. Wir versuchten die Notfallnummer des Kinderheimes anzurufen – erreichten aber niemanden. Es war zum Verzweifeln. Nichts half.
Anette Zywert: Uns wurde gesagt, wenn jemand das Bewegungsverbot aufheben könnte, dann die ukrainische Botschaft. Aber natürlich erreichten wir am Samstagvormittag niemanden. Nichts klappte. Wir hatten die Hoffnung fast aufgegeben.
Valentina Hensch: Nach dem Mittagessen gingen wir schließlich in die Hauskapelle des Caritas-Zentrums zum Gebet. In diese Stille hinein klingelte plötzlich das Handy von Caritasdirektor Michael Weißmann. Der erlösende Anruf: Die Kinder dürfen weiterreisen, wir können sie vom Hotel abholen! Es war ein Wunder.
Anette Zywert: Ja. Ich habe auf dieser Reise zwei Wunder erlebt. Das war das erste.
"Wer kann innerhalb von einer halben Stunde entscheiden, 1000 Kilometer weiterzureisen, in eine Stadt, von der man noch nie gehört hat? "
Und welches war das zweite?
Valentina Hensch: Als wir aus der Kapelle kamen, machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof. Wir wollten Geflüchteten anbieten, mit uns nach Regensburg zu reisen. Doch es war viel schwieriger als erwartet. Niemand wollte in den Bus einsteigen.
Anette Zywert: Wir verstanden das anfangs überhaupt nicht. Wir dachten doch, wir retten sie! Wir hatten selbst gebastelte Schilder dabei, auf denen Regensburg/Bavaria stand. Ich bin durch die Hallen gegangen und habe versucht, Blickkontakt herzustellen und die Menschen anzusprechen. Aber viele Reaktionen waren ablehnend. Die Leute wollten nicht weiterreisen, sie waren entschlossen zu bleiben. Viele haben dort hausiert, Matten ausgebreitet. Ich werde diese Bilder niemals aus meinem Kopf bekommen. Auf den Bänken saßen viele Mütter mit Kindern, mit Hunden und Katzen. Ich sah die Frauen, die gut gekleidet mit ihren Rollkoffern am Bahnsteig warteten und dachte: Da ist kein Unterschied. Das könnte genauso gut ich selbst sein.
Valentina Hensch: Ich stand mit zwei Kollegen in der Haupthalle, wir hielten das Schild nach oben – niemand wollte mitreisen. Natürlich nicht! Wer kann innerhalb von einer halben Stunde entscheiden, 1000 Kilometer weiterzureisen, in eine Stadt, von der man noch nie gehört hat?
Anette Zywert: Ich habe den ganzen Bahnhof abgeklappert. Nach zwei Stunden war ich total erschöpft, emotional wie auch körperlich. Ich begann, an unserer Mission zu zweifeln. Aber dann habe ich ein Stoßgebet gesprochen: „Lieber Gott, wenn es Dein Wille ist, dass ich jemanden zum Bus führen soll, dann schicke diese Menschen zu mir. Ich kann nicht mehr. Ich habe alles gegeben.“ Ich bin einfach dagestanden und habe nichts gesagt. Dann kamen Leute zu mir und fragten: Wo ist dieses Regensburg? Das war das zweite Wunder, das ich auf dieser Reise erlebte.
Valentina Hensch: Da kam Anette, mit einem Dutzend Geflüchteter, darunter eine Mutter mit einem Neugeborenen! Ich war so erleichtert. Dann fuhren wir weiter, um die Kinder abzuholen.
Anette Zywert: In dem Ferienort, in dem die Kinder warteten, verbrachte ich als Kind mein erstes Ferienlager. Ich hatte damals schreckliches Heimweh und habe nur geweint. Doch meine Eltern waren standhaft, ich musste zwei Wochen dort bleiben. Als wir die Kinder abholten, war es auch ein bisschen so, als würde ich mich selbst retten.
Valentina Hensch: Wir fuhren dann nachts zurück nach Regensburg und mir gegenüber saßen die Kinder. Sie haben sich umklammert und wärmten sich gegenseitig. Die Kinder sind so viel klüger und barmherziger als wir Erwachsenen. Weshalb müssen sie leiden?
Veranstaltungshinweis: Benefizkonzert für die Caritas Kinderhilfe Ukraine
Künstlerinnen und Künstler vom Theater Regensburg geben am Sonntag, den 15. Mai, ein Benefizkonzert in der Kirche St. Johann am Dom. Beginn ist um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Der Erlös geht an die Caritas-Ukrainehilfe. Das Konzert steht unter der Schirmherrschaft der Theaterfreunde Regensburg e.V. und wird unterstützt vom Kollegiatsstift St. Johann.
Mitwirkende vom Theater Regensburg sind die Sopranistin Eva Zalenga, die Mezzosopranistin Vera Semieniuk, der Tenor Jason Lee und der ukrainische Bassist Roman-Ruslan Soltys. Bevor Soltys aus Liebe zu deutschen Liedern nach München und schließlich Regensburg kam, arbeitete er als Solosänger, Gesangslehrer und Chorleiter in seiner Heimat der Ukraine. An der Orgel spielt die Pianistin Eva Hermann und an der Geige der Violinist Sándor Galgóczi.
Das Programm umfasst geistliche und sakrale Werke der klassischen Musik vom Barock bis zur Neuzeit. Die Künstlerinnen und Künstler haben ihr Benefizkonzert unter den Bibelvers Jesaja 1,17 gestellt: Lernt, Gutes zu tun!
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