Der Schweizer Marcel Briand ist gelernter Pflegefachmann. Heute bezeichnet er sich als Begegnungsclown. Über sein Konzept sprach er am Rande der Fachtagung zur gerontopsychiatrischen Pflege und Betreuung an der Katholischen Akademie für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen in Regensburg.
"Vielleicht können wir von Menschen mit Demenz etwas lernen – diese Fähigkeit, im Moment präsent zu sein und seine Bedürfnisse unmittelbar zu äußern."
Herr Briand, Sie waren früher Pflegefachmann und haben eine Demenzstation geleitet. Aber seit 20 Jahren arbeiten Sie als Begegnungsclown. Was kann man sich darunter vorstellen?
Marcel Briand: Den Begriff habe ich gewählt, um mich vom Bühnenclown abzugrenzen. Dem Begegnungsclown geht es nicht um eine Performance. Ich suche den Kontakt und Gespräche, dafür habe ich verschiedene Requisiten dabei. Beim Kontakt geht es mir darum, von der kognitiven Ebene weg und auf eine emotionale Ebene zu kommen – da, wo der Demenzbetroffene ja schon ist. Dabei hilft die Clownsnase auch mir. Jedes Mal, wenn ich sie anziehe, ändert sich die Ebene.
Wie sind Sie zum Clownsein gekommen?
Es war Zufall. Damals auf der Demenzstation haben wir mit den Bewohnern an einem großen Tisch gefrühstückt. Eines Tages gab es Babybel-Käse am Frühstücksbuffet. Da haben wir aus Jux diese roten Hüllen auf die Nase geklemmt und sofort gemerkt, dass Demenzbetroffene darauf völlig anders reagieren. Sie kamen zu uns, haben gelacht und sind richtig wach geworden. Das hat mich total beeindruckt und es entwickelte sich ein Projekt daraus: Eine Humorgruppe hat Spiegel aufgehängt, die das Bild verzerren, oder lustige Anekdoten in der Garderobe aufgehängt. Wir sind von Abteilung zu Abteilung gegangen – bis das Nachbarhaus davon gehört und uns eingeladen hat. Die Nachfrage wurde immer größer, so dass ich irgendwann als Freiberufler arbeitete.
Haben Sie ein bestimmtes Ziel, wenn Sie mit dementen Menschen interagieren?
Das erste Ziel ist es, Menschen zu erreichen. Ich möchte sie emotional berühren. Natürlich ist Lachen eine gängige Reaktion, das muss es aber nicht unbedingt sein. Denn schallendes Gelächter begegnet mir in Pflegeheimen nicht oft. Demente Menschen sind ja oft in ihrer eigenen Welt, die ich als Kokon erlebe. Wenn es mir gelingt, diesen Kokon etwas zu öffnen, sind das Lichtblicke. Ein paar Sekunden, in denen ich merke: Jetzt erreiche ich dich. Unsere Rollen als Clown oder Demenzbetroffener sind dann unwichtig. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Im christlichen Kontext würde ich es als die Seele bezeichnen, die ich erreichen möchte. Bei demenzbetroffenen Menschen gelingt mir das besser als bei anderen, weil sie einen feineren Zugang zur emotionalen Welt haben. Ich sage es, ohne die Demenz beschönigen zu wollen. Aber ich glaube, dass wir uns davon eine Scheibe abschneiden können – von dieser Fähigkeit, im Moment präsent zu sein und seine Bedürfnisse unmittelbar zu äußern.
Was braucht ein Begegnungsclown – als Requisiten und Soft Skills?
Pflegewissenschaftler Werner Böhm hat in den 70er-Jahren gesagt, man müsse dementen Menschen so begegnen, wie sie im jungen Erwachsenenalter waren: nicht im T-Shirt, sondern mit Hemd und Krawatte. Das mache ich. Zudem arbeite ich mit Grammophonen, dem Vorläufer des Plattenspielers. Für einen kurzen Moment, wenn die Musik aus der Jugend läuft – mit dem Leiern und dem Kratzen – und wir tanzen, hebele ich die Demenz aus. Dafür brauche ich Einfühlungsvermögen, Achtsamkeit und vielleicht Demut. Meine Haltung ist eine neugierige und eine wohlwollende, dem Alter und auch der Demenz gegenüber. Ich treffe auch glückliche Demente. Ich möchte diese schlimme Krankheit nicht schönreden, aber dieser Schwere im Umgang mit Demenz etwas Leichtes entgegensetzen.
Wie begegnen Ihnen Menschen mit Demenz, wenn Sie eine rote Nase tragen?
Sehr belustigt. Ein Clown ist eine Assoziation aus der Kindheit, aus dem Zirkus. Allerdings gibt es auch Menschen, die überhaupt nichts mit Clowns anfangen können. Der Bewohner eines Altenheimes, den ich nach meinem Auftritt zufällig in einer Bäckerei traf, sagte mal zu mir: „Wissen Sie, eigentlich wohne ich in diesem Heim gegenüber und würde dort auch etwas zu essen kriegen. Aber da ist heute so ein Clown zu Besuch und einen solchen Quatsch muss ich wirklich nicht haben!“ Er wusste nicht, dass ich der Clown war.
Kann eine rote Nase auch Pflegenden in ihrem Beruf helfen?
Mein Clown ist sehr naiv. Ihm ist es egal, ob jemand dement ist, eine Pflegende oder ein Angehöriger – er geht einfach auf alle zu. Die Wirkweise ist eine andere. Bei den Pflegenden bewirkt er eine kurze Pause vom Alltag, ein wohlwollendes Stolpern.
"Ich möchte diese schlimme Krankheit nicht schönreden, aber der Schwere im Umgang mit Demenz etwas Leichtes entgegensetzen."
"Humor ist die effizienteste Methode, sich mit der Unzulänglichkeit der Welt, mir selbst und meinem Gegenüber zu versöhnen."
Ist der Humor von Menschen mit Demenz anders?
Der Humor von Menschen ist anders. Der Humor, den der Mensch ein Leben lang hatte, bleibt auch in der Demenz. Schwierig sind allerdings Witze. Sie sind ein kognitives Konstrukt, dem Menschen mit Demenz nicht folgen können.
Haben Sie eine Empfehlung für Angehörige und Pflegende von Menschen mit Demenz?
Ja. Ich glaube, dass Humor die effizienteste Methode ist, um sich mit der Unzulänglichkeit der Welt, mir selbst und meinem Gegenüber zu versöhnen. Für die Angehörigen ist es schwierig, weil sie an dem festhalten, was war. Sie möchten, dass man sie erkennt und ihren Namen weiß und wo sie auf Hochzeitsreise waren. Das wird aber nicht passieren. Auf diesem Weg gibt es kein Zurück. Mein Rat ist deshalb, nicht den Menschen mit Demenz in unsere Welt zurückzuholen, sondern zu versuchen, in die Welt der Demenz einzutauchen. Zu sagen: ‚Okay, du weißt meinen Namen nicht mehr, aber ich bin trotzdem für dich da.‘ Dazu fällt mir eine schöne Geschichte ein: Eine Nachbarin wollte eine Frau mit Demenz besuchen und kam zu spät. Sie hat sich wortreich entschuldigt, weil ihr so viel dazwischengekommen ist. Die demente Frau hat nur gestrahlt und gesagt: ‚Ich freue mich, dass du da bist.‘ Es könnte den Angehörigen helfen, wenn sie versuchen, die ganzen Normen und Moralvorstellungen zu vergessen und den Moment mit dem Angehörigen zu genießen.
Gibt es Situationen, in denen Humor nicht angebracht ist?
Fast nicht. Ein Heimleiter hat mal ein Heft mit lustigen Situationen mit Demenzkranken herausgegeben. Eine Anekdote ging so: Eine Pflegende ging mit einer demenzbetroffenen Frau zur Toilette, es war dringend und sie hat es nicht ganz geschafft. Ihnen kam eine Tochter mit ihrer dementen Mutter entgegen. Die Tochter war peinlich berührt und wusste nicht, wo sie hinschauen soll. Aber die Demenzbetroffene guckte genau hin und sagte: ‚Na, immer noch besser als verstopft!‘. Mir fällt für diese Situation keine andere Reaktion als Humor ein, die für die Patientin nicht beschämend wäre. Entscheidend ist dabei die Haltung, die wohlwollend sein muss.
Und in traurigen Situationen?
Auch da kann Humor helfen. Ich erinnere mich an eine Situation, als ich als Arzt verkleidet war, in weißer Schürze und mit einem Heiligenschein. Die Kollegen sagten mir, dass eine Frau im Sterben liege, ich könne mich verabschieden. Über ihrem Bett hing ein Moskitonetz. Ich wollte sie vor Mücken schützen und steckte nur den Kopf hinein. Just in dem Moment habe ich realisiert, wie es für sie aussehen muss: alles schneeweiß und dann dieser Kopf mit dem Heiligenschein. Da sagte ich: ‚Hier sieht es ja aus wie im Himmel! Sind Sie schon am Üben?‘ Sie guckte mich mit großen Augen an und lachte richtig herzhaft los. Später haben wir ein ernstes Gespräch übers Sterben geführt. Aber es hat diese Verletzung der Norm gebraucht, um das Eis zu brechen. Beim Humor braucht es den Mut, auf die eigene Intuition zu hören.
Zusatzinfo: Fachtagung „Aktuelle Konzepte in der gerontopsychiatrischen Pflege und Betreuung“
Die Katholische Akademie für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen in Regensburg veranstaltet am 23. und 24. Juni eine Fachtagung zum Thema „Aktuelle Konzepte in der gerontopsychiatrischen Pflege und Betreuung“. Seit 30 Jahren führt die Katholische Akademie Regensburg Fort- und Weiterbildungen im Bereich der Gerontopsychiatrischen Pflege und Betreuung durch. In dieser Zeit hat sich der Bereich der Gerontopsychiatrie in der Katholischen Akademie zu einem der Schwerpunktthemen entwickelt.
Die Zahl der Menschen, die an Demenz erkrankt sind, ist in den letzten Jahren enorm gestiegen und wird laut aktueller Hochrechnungen weiter steigen. Wie lässt sich dieser Herausforderung begegnen? Die Fachtagung informiert über aktuelle Aspekte des Themas. Experten und Expertinnen sind:
Peggy Elfmann, Autorin und Journalistin, Gewinnerin des Golden Blogger-Preises für ihren Blog „Mamas Alzheimer und wir“
Marcel Briand, Pflegefachmann und Begegnungsclown aus der Schweiz
Christoph Sittard und Kurt Wirsing, Buchautoren zum Thema Demenz, Begründer des Regensburger Pflegemodells
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