"Ich tanze auch im Rollstuhl!"

02.04.2022


"Ich tanze auch im Rollstuhl!"

Elisabeth Fink, dreifache Mutter im Rollstuhl, arbeitet als Beraterin bei der Caritas-Schwangerenberatung in Regensburg Fotos: Schophoff
Ich habe im Laufe der Zeit zwar gelernt, mein Leben im Rollstuhl zu akzeptieren, aber wirklich damit abfinden mag ich mich nicht. Ich halte es für möglich, dass ich irgendwann wieder laufen kann.
Elisabeth Fink, Caritas-Beraterin für Schwangerschaftsfragen

Unmaskiert – Die Caritas zeigt Gesicht: In dieser Serie legen Mitarbeitende ihre Masken ab und erzählen von ihrer Arbeit bei der Caritas.  

Elisabeth Fink, 62, sitzt seit einem Skiunfall vor 40 Jahren im Rollstuhl. Sie ist Mutter von drei Kindern. Bei der Caritas-Schwangerenberatung in Regensburg berät sie gemeinsam mit einer Kollegin schwerpunktmäßig Eltern mit körperlicher Behinderung. Anfang Mai geht sie in den Ruhestand. Hier erzählt sie von ihrer Arbeit bei der Caritas aber auch von ihren eigenen Erfahrungen als Mutter im Rollstuhl:

"Neben mir in der Unfallklinik Murnau lag eine junge Frau. Wie ich selbst war sie nach einem Unfall querschnittsgelähmt. Als der Arzt kam, fragte sie ihn: ‚Ich wünsche mir ein Kind. Meinen Sie, das ist möglich?‘ Er antwortete: ‚Theoretisch müsste diese Option bestehen.‘ Ich fand seine Antwort kläglich. 

Damals wusste ich noch nicht, dass diese Frage zu meinem Lebensthema werden sollte. Ich würde mehr als 20 Jahre werdende Eltern mit Handicap beraten. Und ich sollte selbst drei Kinder bekommen. Ich bin in einem Dorf bei Regensburg aufgewachsen, habe drei Schwestern und zwei Brüder. Mir war immer klar, dass ich Kinder haben wollte. Natürlich wusste ich nicht, dass die Umstände derart herausfordernd sein würden. 

Ich hatte im Alter von 21 Jahren einen Skiunfall in den Dolomiten. Ich erinnere mich weder an den Unfallhergang noch an den Abtransport. Ich weiß aber, dass ich die Diagnose Querschnittslähmung nicht an mich ranließ. Ich habe im Laufe der Zeit zwar gelernt, mein Leben im Rollstuhl zu akzeptieren, aber wirklich damit abfinden mag ich mich nicht. Ich halte es für möglich, dass ich irgendwann wieder laufen kann und arbeite mit Imagination und Körpertraining auch daran. Vielleicht halten das manche für Träumerei. Ein Arzt hat es mal als solche bezeichnet und mir empfohlen, mich davon zu verabschieden. Dieses Recht spreche ich ihm und anderen ab. Meiner Meinung nach ist es für jeden Menschen wichtig, Träume und Sehnsüchte zu haben, ja manchmal sind sie sogar überlebensnotwendig. 

Ein Jahr lang dauerte es, bis ich nach dem Unfall zurück in den Alltag fand. Ich zog aus meiner Studentenbude wieder nach Hause zu meinen Eltern, ich lernte Autofahren, ohne die  Beine zu benutzen, und ich beendete 1985 mein Studium der Sozialpädagogik in Regensburg. Der Zugang zum Arbeitsmarkt war jedoch schwer, zu keinem einzigen Bewerbungsgespräch lud man mich ein. Wieso sollte ich als Beraterin nicht im Rollstuhl sitzen können? Erst über Kontakte klappte es schließlich mit einer Stelle in der Aussiedlerberatung bei der Caritas.

Meiner Meinung nach ist es für jeden Menschen wichtig, Träume und Sehnsüchte zu haben, ja manchmal sind sie sogar überlebensnotwendig. 
Elisabeth Fink, Caritas-Beraterin für Schwangerschaftsfragen

Im Sommer 1994 lernte ich meinen Mann kennen, ein knappes Jahr später kam unsere Tochter Ilona zur Welt, zwei Jahre danach unser Sohn Thomas und wieder zwei Jahre später unser zweiter Sohn Andreas. Als Mutter im Rollstuhl war ich damals eine Exotin. Das Leben mit drei kleinen Kindern und die Notwendigkeit, mir selbst die erforderliche Unterstützung aufzubauen, forderten mich heraus. 

Nach der Geburt des dritten Kindes erlitt ich aufgrund mangelnder Unterstützung einen physischen Zusammenbruch. Mit Hilfe privater Netzwerke gelang es mir jedoch, mich aus dieser Notlage zu befreien. Unterstützt hat mich in dieser Situation auch die Caritas-Schwangerschaftsberatung durch die Vermittlung von Stiftungsmitteln und das Sozialamt, das die Kosten für eine Familienhelferin übernahm. Über Jahre hinweg entlastete mich diese Frau vormittags und wurde zu einer ganz wichtigen Stütze für mich. Ihre Anstellung übernahm der Caritasverband. Komplementiert wurde mein selbstentwickeltes Hilfssystem durch Aupairmädchen, die sechs Jahre lang ein fester Bestandteil unserer Familie waren. Finanziert habe ich sie mit Hilfe meines Pflegegeldes größtenteils selbst. Sehr wichtig war für mich zudem, dass mir mein Mann dank fester Arbeitszeiten immer zuverlässig und gut planbar zur Seite stand. 

2001 kehrte ich ins Berufsleben zurück, und zwar als Beraterin für Schwangere und junge Eltern bei der Caritas Regensburg. Es war mir ein großes Anliegen behinderte Eltern zu unterstützen, damit sie es leichter haben die erforderlichen Hilfen zu erhalten. Erfreulicherweise fand ich bei Gabriele Dotzer, der Leiterin der Beratungsstelle, ein offenes Ohr hierfür. Zusammen mit ihr und meiner Kollegin, Irene Hau, gelang es uns, diesen Beratungsschwerpunkt an unserer Beratungsstelle zu etablieren. Dabei konnten wir drei Jahre lang auf eine Förderung von Aktion Mensch zurückgreifen. Meine Kollegin und ich knüpften tragfähige Netzwerke für betroffene Eltern und im Laufe der Zeit konnten wir viel bewegen. Mittlerweile ist es für sie wesentlich einfacher und selbstverständlicher, die benötigten Hilfen zu erhalten. Zudem trugen wir dazu bei, dass es seit längerem eine Selbsthilfegruppe für behinderte Eltern gibt. Hier können sie sich treffen, sich austauschen und gemeinsam für ihre Anliegen eintreten. 

Dennoch ist es noch ein weiter Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft. Ich stoße im Alltag häufig auf Hindernisse oder Befremden. Neulich beim Schwimmen fühlte sich ein anderer Schwimmer von mir behindert. Ich schwimme Rücken und brauche viel Platz, wofür ihm das Verständnis fehlte. In Regensburg gibt es zudem kaum Lokale mit einer barrierefreien Toilette. Bei den hübschen kleinen Boutiquen in der Stadt hapert es meist schon am Eingang. 

Ganz wichtig ist es, mich körperlich fit zu halten. Zwei Stunden täglich übe ich Stehen, mache Gymnastik, gehe Schwimmen oder tanze. Ja, ich tanze auch im Rollstuhl! Vor kurzem nahm ich an einem meditativen Tanzwochenende teil. Doch irgendwann teilte mir der Seminarleiter mit, ich dürfe nicht mehr mittanzen, meine Art zu tanzen störe die anderen. Er sagte: ‚Tanzen im Rollstuhl ist nicht möglich‘. In den Köpfen vieler Leute muss sich doch noch manches ändern.“

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