„Kein Mensch ist perfekt!“

26.11.2022


„Kein Mensch ist perfekt!“

Unmaskiert – Die Caritas zeigt Gesicht: In dieser Serie legen Mitarbeitende ihre Masken ab und erzählen von ihrer Arbeit bei der Caritas. Heute spricht Konrad Kett. Er leitet seit 27 Jahren die Offene Behindertenarbeit in Regensburg.

Konrad Kett leitet seit 27 Jahren die Offene Behindertenarbeit der Caritas Regensburg. (Fotos: Caritas Regensburg/Schophoff)
"Bis zu einer inklusiven Gesellschaft ist es noch ein weiter Weg."
Konrad Kett, Leiter der Offenen Behindertenarbeit der Caritas Regensburg

„Ich spreche selten von behinderten Menschen, eher von Menschen mit Einschränkungen. Es gibt nicht ‚die Behinderten‘. Sie sind so individuell wie wir. Auch deshalb hängen in unseren Büroräumen noch immer die Plakate der Caritas-Kampagne aus dem Jahr 2011: Sie zeigen Menschen mit starken körperlichen Einschränkungen, die sich über ihre große Nase oder die falsche Haarfarbe beklagen. Verrückt, oder? Das sitzt jemand im Rollstuhl und beklagt sich über seine große Nase. Das zeigt, schön zugespitzt, dass wir uns alle, egal ob im Rollstuhl oder nicht, mit denselben Sorgen herumschlagen. Kein Mensch ist perfekt.

Ich bin 1967 in Neustadt an der Waldnaab geboren und zog mit 17 Jahren nach Regensburg, um dort eine Ausbildung zum Krankenpfleger zu machen. Auf mein Lebensthema, Menschen mit Handicap zu begleiten, stieß ich aber erst im Zivildienst. 20 Monate begleitete ich einen Mann, der mit Kinderlähmung, sogenannter Poliomyelitis, lebte. Er war kognitiv sehr fit und machte damals sein zweites Staatsexamen in Jura. Ich war fasziniert davon, wie dieser Mensch sein Leben in die Hand nahm. Körperlich war er schwer beeinträchtigt. Er brauchte Hilfe in fast allen Lebensbereichen, beispielsweise um auf die Toilette zu gehen, beim Essen, beim Waschen – und trotzdem hatte er ein klares Ziel für sein Leben. Er studierte Jura, er war wahnsinnig eloquent, er wollte Teil dieser Gesellschaft sein. Er sagte: ‚Ich kann vieles nicht, aber anderes kann ich sehr gut. Das möchte ich einbringen.‘

Das Thema ließ mich nicht mehr los. Ich holte mein Fachabitur nach und studierte Soziale Arbeit. Im Februar 1995 schloss ich mein Studium ab, im März war bei der Caritas die Leitungsstelle der Offenen Behindertenarbeit ausgeschrieben. Ich bekam die Stelle und bis heute erfüllt mich diese Arbeit; auch wenn die Rahmenbedingungen mitunter schwierig sind und es an Personal mangelt – wie in vielen anderen helfenden Berufen. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist damals wie heute der familienentlastende Dienst (FED), mit dem wir Familien mit beeinträchtigten Kindern oder Jugendlichen unterstützen. Zudem haben wir für nahezu jede Altersgruppe Freizeitangebote.

"Jeder Mensch, egal ob mit oder ohne Handicap, hat seinen ganz eigenen Wert."
"Wir gehen dorthin, wo alle anderen auch sind. Wir bleiben nicht unter uns im Hinterzimmer."
Konrad Kett, Leiter der Offenen Behindertenarbeit der Caritas Regensburg

Ich bin jemand, der gern für andere Menschen da ist, der gern berät und begleitet. Es motiviert mich, da etwas zu erreichen, beispielsweise Zuschüsse zu erstreiten oder passgenaue Angebote zu entwickeln. Zudem lerne ich viel von unseren Klienten und Klientinnen. Sie sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft, auch wenn sie von Vielen oft als Belastung wahrgenommen werden. Es fasziniert mich bis heute wie Menschen mit körperlichem Handicap ihr Leben in die Hand nehmen. Und auch Menschen, die kognitiv eingeschränkt sind, bereichern unser Leben. Dieses Unverfälschte und Ehrliche, das sie an den Tag legen, berührt mich. Sie leben ihre Gefühle unverblümt aus, nichts passiert hinterrücks, nichts ist gespielt. Natürlich sind diese schwankenden Gefühle auch anstrengend. Aber man weiß immer, woran man ist. Und die Lebensfreude ist ansteckend!

Obwohl sich in den vergangen dreißig Jahren viel getan hat, ist es noch ein weiter Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft: dass es wirklich völlig egal ist, wie jemand ist und mit welchen Einschränkungen er kämpft; dass man sich völlig normal und ohne Berührungsängste begegnet. Als ich anfing, mussten wir Vereine oder Jugendzentren noch beknien, dass wir mit unseren Klienten kommen dürfen. Die Sorge war groß, dass wir die anderen abschrecken. Heute werden wir angefragt. Wir gehen dorthin, wo alle anderen auch sind. Wir bleiben nicht unter uns im Hinterzimmer.

Die Toleranzen gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung variieren allerdings stark. Jemand im Rollstuhl ist in der Regel voll akzeptiert, jemand mit einer psychischen Erkrankung und besonderen Verhaltensweisen weit weniger. Wenn jemand unorthodoxes Handeln an den Tag legt, ist die Abgrenzung dazu sehr deutlich spürbar. Da sind wir weit weg von einem normalen Umgang

In jedem Fall müssen wir uns fragen: Gibt es einen anderen Weg als den gemeinsamen? Ich denke nicht. Im Gegenteil. Wir müssen auch zukünftig täglich daran arbeiten, die Gesellschaft zu sensibilisieren, dass verschieden sein normal ist, und jeder Mensch, egal ob mit oder ohne Handicap, seinen ganz eigenen Wert hat!“ 

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