Das Café am Rande des Verstands

02.02.2022


Das Café am Rande des Verstands

Ein unscheinbares Eckhaus in der Regensburger Ostengasse: Dort befindet sich das Nachtcafé des Caritas Alten- und Pflegeheims Marienheim. Foto: Schophoff

Wenn in anderen Altenheimen längst die Lichter aus sind, öffnet im Caritas Alten- und Pflegeheim Marienheim das Nachtcafé, ein tägliches Betreuungsangebot, von 21 bis 23.30 Uhr, für Bewohner mit dem Sundowning-Syndrom: steigender Unruhe sobald der Abend anbricht. Die Pflegenden steuern nicht mit Medikamenten gegen, sondern verabreichen Aktivitäten wie Malen, Tanzen, Basteln oder Spielen. Die Chefin des Hauses heißt Maria Seidl. Sie sagt: „Wer so lange betreut wird, schläft nachts besser.“ 

Das Nachtcafé liegt im zweiten Stock des Regensburger Caritas Alten- und Pflegeheims Marienheim – ein Eckhaus in der Ostengasse, Altbau, gelbe Fassade. Keiner würde ahnen, welche Besonderheit sich dahinter verbirgt: Es ist ein Haus, das sich auf die Pflege von Demenzkranken spezialisiert hat, ein beschützendes Pflegeheim. In der Region gibt es kein vergleichbares Heim, selbst bundesweit ist die Zahl verschwindend gering.

Warum kippt eine Cafébesucherin ihr Wasserglas um und drückt es immer wieder behutsam auf die Tischplatte? Warum wandert einer der Greise ruhelos umher? Und warum, bitteschön, baumeln da Blumentöpfe von der Decke?

Das Treiben im Nachtcafé ist seltsam ver-rückt. Die Cafébesucher leben in ihrer eigenen Wirklichkeit, ver-rückt in eine andere Lebenszeit. Das Erinnerungsvermögen und logisches Denken schwinden, Gefühle aber werden nicht dement. Wie bei Kindern verbirgt sich auch bei Demenzkranken hinter jedem Handeln ein unbewusster Sinn, wie der Altersexperte Erich Schützendorf in seinem Buch „Anderland – ein Reiseführer in die Welt von Menschen mit Demenz“ schreibt.

So drückt die Cafébesucherin nicht nur das Wasserglas auf die Tischplatte, sondern sticht – in ihrer Wahrnehmung – vielleicht Plätzchenteig aus. So ist der wandernde Greis kein Einzelgänger, sondern einer von vielen Dementen, die mit Vorliebe umherwandern. Manche schaffen bis zu 40 Kilometer täglich. „Hinlauftendenz“ nennen das die Fachleute. Der Gerontopsychiater Jan Wojnar interpretiert dieses Verhalten als Abschied von der Zivilisation. Wenn durch die Demenz die Großhirnrinde abgebaut werde, bestimmten tiefere Hirnregionen das Verhalten. Der Demente verhalte sich wie ein Mensch der Vorzeit und haste rastlos durch die Gegend wie ein Jäger und Sammler.

Und die Blumentöpfe baumeln von der Decke, damit niemand an sie herankommt und die Blüten isst oder die Töpfe verschleppt. Denn Menschen mit Demenz räumen gerne um, hin und her und ein und aus, was sich mit dem Beschäftigungsdrang kleiner Kinder vergleichen lässt.

In Deutschland leben mehr als eine Million Demenzkranke, rund vierzig davon im Caritas Alten- und Pflegeheim Marienheim in Regensburg. Jeden Tag und jede Nacht begeben sich die Mitarbeitenden in dem unscheinbaren Altbau auf eine weite Reise: in die Welt von Menschen mit Demenz.

Besuchen Sie uns auf unseren
Social Media Kanälen:

Caritasverband für
die Diözese Regensburg e.V.
Von-der-Tann-Straße 7
93047 Regensburg

T +49 941 502 10
F +49 941 502 11 25
info@caritas-regensburg.de
www.caritas-regensburg.de