Papa mit Demenz

24.09.2022


Papa mit Demenz

In Deutschland leben knapp zwei Millionen Menschen mit Demenz. Auch die Caritas im Bistum Regensburg pflegt Betroffene und begleitet Angehörige. Zum Ende der bundesweiten „Woche für Demenz“ kommt heute die Tochter eines Demenzkranken zu Wort

Das Motto der diesjährigen Woche der Demenz lautet: verbunden bleiben. Grafik: Deutsche Alzheimer Gesellschaft
"Die Erkrankung stellte alle Zukunftspläne infrage. Wie geht es jetzt weiter? Was kommt da alles auf uns zu? "
Tochter eines Demenzkranken

Als ihr Vater die Diagnose Alzheimer bekommt, ist er 76 Jahre alt. Hier erzählt seine Tochter, die anonym bleiben möchte, wie er sich langsam verändert: Seine Kreise werden kleiner, Erinnerungen wichtiger.

„Lange bevor mein Vater die Diagnose Alzheimer erhalten hat, bemerkten wir, dass er sich veränderte. Er ist zum Einkaufen gegangen und hat Sachen doppelt und dreifach mitgebracht oder andere gar nicht. Er hat Besprechungen und Verabredungen vergessen. Sein Auto bekam Schrammen und Kratzer, der Seitenspiegel war irgendwann abgefahren. Er konnte sich nicht mehr erinnern, was ich ihm erzählt habe oder erzählte mir mehrmals dieselben Geschichten.

Mein Vater war immer ein eloquenter Mensch, sehr engagiert und interessiert. Er bagatellisierte, wenn wir ihn auf die Kratzer am Auto ansprachen. Wie das passiert sein soll? Keine Ahnung. 2015 haben wir ihn schließlich in einer Gedächtnisambulanz untersuchen lassen. Mit 76 Jahren erhielt er die Diagnose Alzheimer. Ich hatte damit gerechnet und doch ist es ein anderes Gefühl, die Diagnose schwarz auf weiß zu lesen.

"Viele Fähigkeiten bleiben lange erhalten. Wir können Menschen mit Demenz erreichen und dürfen bei der Diagnose nicht gleich von der Situation im Endstadium ausgehen."
Tochter eines Demenzkranken

Für seine Ehefrau, er ist ein zweites Mal verheiratet, war es gut, die Diagnose zu haben. Doch die Erkrankung stellte zugleich alle Zukunftspläne infrage. Wie geht es jetzt weiter? Was kommt da alles auf uns zu? Es war klar, dass weder meine drei Geschwister noch ich uns im täglichen Leben um unseren Vater kümmern könnten. Wir unterstützen die beiden vor allem aus der Ferne. Ich helfe mit meinem Fachwissen, die demenziellen Veränderungen, die mein Vater durchlebt, einzuordnen.

Wir haben erst im Nachhinein erfahren, was bereits vor der Diagnose alles schiefgelaufen ist. Mein Vater war Ortsvorsteher in seinem Stadtteil. Er war durchaus streitbar, hat sich sehr für die Bürger eingesetzt. Aber zuletzt äußerte er sich im Stadtrat nicht mehr konform. Seine Sekretärin hat einiges gerade gerückt, die Unterlagen sortiert, darauf geachtet, dass er Termine wahrnimmt.

Für uns war es hilfreich, dass ich wusste, was die Krankheit bedeutet, wie sie auch die Persönlichkeit eines Menschen verändert. Es kommt ja nicht nur zu vergessenen Terminen. Wenn eine Aufgabe nicht erledigt wurde, erfand mein Vater sonderbare Geschichten. Das ist gar nicht böswillig, sondern ein Weg, Gedächtnislücken zu füllen. Für seine Partnerin ist das besonders schwierig. Sie fragt sich, ob das nun eigensinnig ist oder ob es an der Demenz liegt?

Alzheimer sowie die anderen Demenzformen bewirken einen sehr schleichenden Krankheitsverlauf. Die meisten haben sofort das Bild des sehr hilfebedürftigen Menschen vor Augen, der verwirrt durch die Gegend läuft. Viele Fähigkeiten bleiben aber lange erhalten. Wir können Menschen mit Demenz erreichen und dürfen bei der Diagnose nicht gleich von der Situation im Endstadium ausgehen.

"Der Verlust der Sprache, das Zurückfallen in das Erstgelernte, ist ein Zeichen dafür, dass die Demenz weiter fortschreitet."
Tochter eines Demenzkranken

Gleichzeitig ist ein langsames Fortschreiten der Erkrankung nicht aufzuhalten. Es ist nicht allzu lange her, da wollte mein Vater zum Schreibwarenladen und Briefmarken kaufen. Doch er ist an dem Laden vorbeigelaufen und immer weiter, immer weiter – bis er körperlich nicht mehr konnte und zusammengebrochen ist. Seine Frau hat ihn im Krankenhaus wiedergefunden. Seither darf er alleine nicht mehr aus dem Haus gehen. Wir sind froh, dass er einen schönen Garten hat, den er sehr liebt.

Kürzlich hat er mich morgens um 7 Uhr angerufen, halb aus dem Bett geworfen, und dabei in seinem Südtiroler Heimatdialekt geredet. Er hat sonst nur Dialekt gesprochen, wenn er mit seinen Geschwistern telefoniert oder die Heimat besucht hat. Der Verlust der Sprache, das Zurückfallen in das Erstgelernte, ist ein Zeichen dafür, dass die Demenz weiter fortschreitet. Zum Glück verstehe ich seinen deutschsprachigen Dialekt. In türkischen oder russischen Familien kann das ein echtes Problem sein, weil die Kinder vielleicht die Muttersprache der Eltern gar nicht gelernt haben.

Ich habe mich innerlich nie gegen die Erkrankung meines Vaters gewehrt. Ich akzeptiere, dass er die Namen meiner Kinder nicht weiß und lasse mich darauf ein, ihm immer wieder dasselbe zu erzählen. Und doch ist es jedesmal schmerzhaft, wenn er eine weitere Fähigkeit verliert. Irgendwann wird es an den Punkt kommen, dass er und seine Frau das zu zweit zuhause nicht mehr schaffen. Obwohl die Beziehung zwischen den beiden enger geworden ist: Sie sind Verbündete im Umgang mit dieser Krankheit.

"Erinnerungen an das junge Erwachsenenalter halten lange an. Es ist gut, diese Erinnerungen wachzurufen."
Tochter eines Demenzkranken

Eine Putzfrau entlastet sie außerdem, zudem kommt einmal täglich ein Pflegedienst. Inge (Name geändert) besucht darüberhinaus eine Angehörigengruppe. Zuletzt war mein Vater auch für einen Tag in der Tagespflege. Das hat ihm sehr gut gefallen, er hat sich schick gemacht, eine Anzughose und seine Trachtenjacke angezogen, und viel Beachtung gefunden. Und doch war es zuvor ein langes Hin und Her. Mein Vater fragte, was soll ich da? Das brauche ich eh nicht!

Eigentlich gefällt mir der Vergleich nicht, dass Menschen mit Demenz wie kleine Kinder werden, und doch ist es hier ähnlich wie bei Kindern, die man in die Kita bringt: Erst wollen sie nicht von zu Hause weg, wenn sie dort sind, ist es ganz toll und beim Abholen wollen sie gar nicht mehr weg. Was mit der Demenz verloren geht, ist die Vorstellung davon, wie es an einem bestimmten Ort sein kann. Wenn ich nicht mehr weiß, dass es dort schön war, möchte ich da auch nicht mehr hin.

Wir haben meinem Vater zu Weihnachten ein Telefon mit Bildtasten geschenkt, hinter jedem Foto ist eine Nummer gespeichert. Wir hofften, dass er damit besser telefonieren könne, doch ehrlich gesagt funktionierte es nur mäßig. Nun aber hat sein Notizbuch mit Telefonnummern einen festen Platz neben dem alten Telefon gefunden – und er ruft häufig an.

Er fragt: Wo bist du? Ich sage, zuhause, und er fragt, wo das sei? In Berlin, sage ich und er antwortet erfreut: Ach ja, Berlin! Berlin kenne ich gut, da habe ich selber mal gelebt. Solche Erinnerungen an das junge Erwachsenenalter halten lange an. Es ist gut, diese Erinnerungen wachzurufen. Einerseits, weil wir so ein Gesprächsthema haben, andererseits, weil sich mein Vater als kompetent erlebt: Er hat etwas zu erzählen.

Die Kreise meines Vaters werden mit fortschreitender Demenz kleiner. Früher war er viel unterwegs, beruflich engagiert, in diversen Vereinen aktiv. Heute ist er sehr oft zuhause. Er sitzt am liebsten an seinem Gartenteich und beobachtet Fische. Wenn ich sehe, wie mein Vater in sich ruhender geworden ist, hat das für mich auch etwas Schönes.“

Hinweis der Redaktion: Die Interviewte arbeitet für die Deutsche Alzheimer Gesellschaft und verfügt daher über das Fachwissen, die Erkrankung ihres Vaters einzuordnen.

"Wenn ich sehe, wie mein Vater in sich ruhender geworden ist, hat das für mich auch etwas Schönes."
Tochter eines Demenzkranken

Zusatzinfo: Caritas-Fachstellen für pflegende Angehörige im Bistum Regensburg

Die Caritas hat im Bistum Regensburg verschiedene Fachstellen für pflegende Angehörige. Eine Übersicht gibt es hier: Fachlich und kompetent (caritas-regensburg.de)

  • Die Fachstellen beraten zu allen Fragen rund um die Pflege zu Hause: Wie ist der Umgang mit demenziell erkrankten und psychisch veränderten alten Menschen? Was muss ich bei Krankheiten und Pflegebedürftigkeit beachten? Welche Kosten kommen auf meine An- und Zugehörigen zu? 
  • Die Fachstellen beraten auch zu professionellen Angeboten in der Altenhilfe, z.B. Mahlzeitendienste, Hausnotruf, Betreutes Wohnen und bei behördlichen Angelegenheiten. 
  • Die Fachstellen vermitteln und organisieren Entlastungsmöglichkeiten in der jeweiligen Region wie z.B. Betreuungsgruppen und Besuchsdienste sowie Angehörigengruppen zum Erfahrungsaustausch mit Gleichgesinnten.  

Die Beratung ist kostenlos.

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