Unmaskiert – Die Caritas zeigt Gesicht: In dieser Serie legen Mitarbeitende ihre Masken ab und erzählen von ihrer Arbeit bei der Caritas. Heute spricht der Streetworker Ben Peter:
"Das Leben auf der Straße zerrt körperlich an den Menschen. Und psychisch macht es sie auch kaputt."
„Eigentlich wollte ich immer raus in die weite Welt. Es wundert mich fast selbst, dass ich jetzt wieder hier bin, in meiner Heimatstadt. Ich bin 1977 in Regensburg geboren. Nach dem Fachabitur studierte ich in Wuppertal Sozialwissenschaften.
Die Wissenschaft interessierte mich schon immer. Nicht die Naturwissenschaften, aber die Gesellschaftswissenschaften, die Frage: Wie kann der Einzelne das System beeinflussen? Ich habe mir als Jugendlicher eine wissenschaftliche Karriere erträumt. Doch beim Lesen all der wissenschaftlichen Literatur merkte ich bald, dass mir etwas fehlte. Ich geriet in eine Krise. Ich wusste noch nicht, wie ich meinem Leben und der Welt Sinn abringen konnte.
"Für viele meiner Klientinnen oder Klienten ist das Hauptproblem, dass sie nie in der Gesellschaft angekommen sind. Sie haben den Schmerz ihrer Kindheit noch in sich. Und der ist so stark, dass sie nicht anders können."
Irgendwann packte ich meinen Rucksack und wollte mit einem Freund für einige Wochen nach Russland. Wir hatten uns für einen Sprachkurs in St. Petersburg angemeldet. Wir setzten uns in den Bus und ratterten los. Schon an der deutsch-tschechischen Grenze sagte man uns: Ihr habt kein Visum, ihr werdet nicht reinkommen. Wir entgegneten, wir hätten doch eine Einladung, die Zusage vom Sprachkurs. Dass die Einladung nicht gleich das Visum war, sondern lediglich der Türöffner, wussten wir damals nicht − sollten wir aber schmerzlich erfahren. An der polnisch-weißrussischen Grenze mussten wir aussteigen. Aus der Traum von Russland. Wir fuhren mit dem Taxi zurück bis nach Warschau.
Es war dieses Scheitern, das mich auf meinen Lebensweg führte. Denn den Traum, eine fremde Sprache zu lernen, ließ ich mir nicht nehmen. Ich belegte im nächsten Semester Tschechisch. Mir fehlte zwar jedes Talent, aber doch war es eine Entscheidung, die mein Leben veränderte.
Weil ich Tschechisch sprach, machte ich nach meinem Studium ein Praktikum bei Karo e.V.: eine Organisation im sächsischen Plauen, die sich im deutsch-tschechischen Grenzland gegen Zwangsprostitution, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Kindern engagiert. Diese Erfahrungen prägen mich bis heute. Das erste, was ich lernte, war: Das kann ich. Auf die Leute zugehen, ihnen zuhören, Vertrauen aufbauen. Nach meiner Zeit bei Karo war mir klar, dass Streetwork mein Ding ist. Jeder kann etwas anders. Wenn einer gut mit Geld umgehen kann, ist er sicher in der Bank gut aufgehoben. Mir liegt das Soziale.
Im Jahr 2010, viele Praktika und Jobs zwischen München und Hamburg später, bekam ich im zweiten Anlauf die Stelle als Streetworker bei der Caritas Regensburg. Deswegen lebe ich heute wieder in meiner Geburtsstadt. Ich bewege mich zwar nicht an den Rändern der Welt, aber doch an gesellschaftlichen Rändern. Die Menschen, mit denen ich arbeite, sind oft obdachlos, suchtkrank oder psychisch erkrankt. Das Leben auf der Straße zerrt körperlich an den Menschen. Und psychisch macht es sie auch kaputt.
"Was ich als Streetworker tue, gibt meinem Leben Sinn. Und die Leute, denen ich helfe, tun auch etwas für mich: Dank ihnen habe ich Arbeit.“
Als Streetworker beginnt mein Arbeitstag morgens um halb acht, wenn ich meine Tochter in den Kindergarten gebracht habe. Ich hole bei der Bahnhofsmission oder manchen Supermärkten Lebensmittel vom Vortag ab. Das Essen verteile ich an meine Klienten. So komme ich gleich morgens mit ihnen ins Gespräch. Denn ein gutes Gespräch ist Ziel und Kern meiner Arbeit.
Ich höre zunächst zu. Die Leute wollen, ähnlich wie bei einem Pfarrer, erstmal ihre Geschichte erzählen und angenommen werden. Sie haben einen Wert, genau wie du und ich. Beim Zuhören erfahre ich: Ist da ein echtes Problem oder will da jemand einfach nur quatschen? Falls es ein echtes Problem gibt, eine drohende Stromsperre beispielsweise oder eine anstehende Wohnungsräumung, versuche ich zu helfen. Mit einem Telefonat, einem Tipp, einer Recherche.
Für viele meiner Klientinnen oder Klienten ist das Hauptproblem, dass sie nie in der Gesellschaft angekommen sind. Sie konnten nie Fußfassen. Sie haben den Schmerz ihrer Kindheit noch in sich. Und der ist so stark, dass sie nicht anders können als sich in die Sucht zu stürzen oder in Probleme zu verstricken; dass sie einen Streetworker brauchen, der ihnen die Post aufmacht.
Was ich als Streetworker tue, gibt meinem Leben Sinn. Und die Leute, denen ich helfe, tun auch etwas für mich: Dank ihnen habe ich Arbeit.“
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