Die Medizin kann Leben retten und verlängern. Manchmal kann man aber nicht wissen, ob das auch im Sinne des Patienten ist. In diesen Fällen stehen Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige vor schwierigen Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen. Das Klinische Ethikkomitee (KEK) unterstützt alle Betroffenen dabei, solche Entscheidungen gewissenhaft und umsichtig zu treffen. Wir haben mit den beiden neuen Vorsitzenden des KEK, Dr. Markus Resch und Kerstin Martinec, gesprochen.
Herr Dr. Resch, was sind die Aufgaben des Ethikkomitees?
Das Ethikkomitee besteht aus 15 Mitgliedern aus verschiedenen Bereichen des Hauses und wird in drei großen Aufgabengebieten aktiv sein. Momentan sehen wir unseren Schwerpunkt in der Klinischen Ethikberatung. In Zukunft wollen wir aber auch Leitlinien für das Handeln im Haus entwickeln und in einem weiteren Schritt Veranstaltungen zur Fort- und Weiterbildung organisieren. Die ethischen Leitlinien sollen allen Mitarbeitenden bei Problemen helfen, mit denen sie im Krankenhaus konfrontiert werden, zum Beispiel beim Umgang mit Sterbenden. Außerdem wird das Ethikkomitee Fortbildungsveranstaltungen organisieren, die auf einzelne Probleme oder Berufsgruppen zugeschnitten sind. Dabei wird es zum Beispiel um Gespräche in schwierigen Situationen gehen oder um den Umgang mit knappen Ressourcen im Klinikalltag.
Worum geht es bei der Klinischen Ethikberatung?
In Grenzbereichen der High-Tech Medizin, in Fällen, in denen Patienten krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, selbstbestimmt zu entscheiden oder bei Behandlungen am Lebensende tauchen manchmal schwierige Fragen auf: Welche Behandlung ist im Interesse des Patienten? Wer entscheidet, wenn der Patient nicht entscheidungsfähig ist? Ist alles, was medizinisch machbar ist, auch ethisch vertretbar? Mit diesen und weiteren Fragen können sich die Kolleginnen und Kollegen an das Ethikkomitee richten. Wir bieten dann fallbezogene, moderierte und strukturierte Gespräche für alle Beteiligten an. Ziel dieser Gespräche ist es, die Behandlung zu finden, die im konkreten Einzelfall die beste für den Patienten ist, und diese Behandlung auch unter ethischen Gesichtspunkten so zu begründen, dass sie für alle Beteiligten nachvollziehbar und tragbar ist.
In Grenzbereichen der High-Tech Medizin, in Fällen, in denen Patienten krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, selbstbestimmt zu entscheiden oder bei Behandlungen am Lebensende tauchen manchmal schwierige Fragen auf.
Frau Martinec, wie kann man sich so eine Beratung vorstellen?
Wenn wir um eine Beratung gebeten werden, setzen wir uns zeitnah mit den Mitarbeitenden der betroffenen Kliniken und Bereiche zusammen; in manchen Fällen laden wir auch Angehörige oder Betreuer zu einem solchen Treffen ein. In einem strukturierten und moderierten Gespräch werden alle Auffassungen zuerst aus der eigenen beruflichen Perspektive dargelegt und dokumentiert, anschließend unter wichtigen ethischen Gesichtspunkten neu bewertet. Am Ende trifft die Gruppe gemeinsam eine ethische Entscheidung.
Sowohl über das Gespräch als auch über die Entscheidung wird ein Protokoll geführt, das der Patientenakte beigelegt wird, damit jeder die Entscheidung nachvollziehen kann.
Muss die Behandlung so erfolgen, wie vom KEK vorgeschlagen?
Hier muss ich ein Missverständnis ausräumen. In der Ethischen Fallbesprechung macht das Komitee keinen Vorschlag, sondern es moderiert den Gesprächsprozess. In dessen Verlauf wird von denjenigen eine eigene Entscheidung gefällt, die mit dem Fall zu tun haben, also von den Mitarbeitenden in Medizin, Pflege, Therapie, Sozialdienst und Seelsorge und natürlich auch von den Angehörigen. Diese Entscheidung ist auch nicht bindend. Das heißt, die eigentliche Entscheidung darüber, wie tatsächlich verfahren wird, und die damit verbundene Verantwortung bleiben allein bei den behandelnden Ärzten beziehungsweise dem Behandlungsteam. Genau diese Entscheidungsträger sollen durch die ethische Fallberatung aber unterstützt werden. Denn sie kennen nun die verschiedenen Perspektiven und haben einen Lösungsvorschlag an der Hand, der von mehreren Personen entwickelt wurde. Dadurch sind sie in ihrer Entscheidung nicht allein!
Die Beratung im Ethikkomitee ist nicht darauf ausgerichtet zu verurteilen oder Vorschriften zu machen, sondern sie hat einzig und allein das Ziel, gemeinsam nach der besten Lösung für den Patienten zu suchen.
Können Sie uns ein Beispiel für so eine Beratung nennen, Herr Dr. Resch?
Gut in Erinnerung geblieben ist mir der Fall eines extrem adipösen Patienten, der nach einer orthopädischen Operation mit vielfachen Krankheitskomplikationen zu uns ins Haus eingeliefert worden war. Mit Ende 40 war er ein Vollpflegefall, musste beatmet werden und hatte zahlreiche, gravierende Wund- sowie Knocheninfektionen. Medizinisch gab es keine Perspektive auf eine deutliche Verbesserung der Situation. Er selbst war nicht mehr ansprechbar, es gab keine Patientenverfügung und auch keine nahen Verwandten. Vom Hausarzt wussten wir, dass der Patient ihm einmal gesagt hatte, dass im medizinischen Ernstfall die Ärzte die richtige Entscheidung für ihn treffen würden. Dieser Ernstfall war nun eingetreten, und die Kollegen mussten für den Patienten entscheiden; eine schwierige Situation, in der sich die Kollegen an das Ethikkomitee gewandt haben. Wir haben dann Vertreterinnen und Vertreter alle beteiligten Kliniken zur ethischen Fallbesprechung eingeladen, alle Behandlungs- und Entscheidungsoptionen erörtert und sind letztlich zu dem Votum gekommen, die Therapie zu beenden.
Frau Martinec, gibt es Standards, nach denen das Komitee die Fälle bearbeitet?
Wir orientieren unsere Beratung am Konzept von MEFES: Multidisziplinäre ethische Fallbesprechung in schwierigen Entscheidungssituationen. Es handelt sich dabei um eine Art Anleitung zu einem strukturierten, moderierten Teamgespräch, in dem die Meinungen aller Beteiligten systematisch erhoben werden, um so ein multidisziplinäres Gesamtbild zu ermöglichen, in dessen Zentrum immer auch die Autonomie und Würde des Patienten stehen. So werden alle Aspekte eines komplexen Problems sichtbar und können gründlich analysiert werden. Am Ende soll eine Entscheidung stehen, die ethisch tragbar ist und aus möglichst vielen unterschiedlichen Blickwinkeln richtig erscheint.
Was raten Sie als Vorsitzende den Mitarbeitenden, die sich nicht sicher sind, ob sie sich mit einem Problem an das Ethikkomitee wenden sollen?
Keine Angst zu haben. Die Beratung im Ethikkomitee ist nicht darauf ausgerichtet zu verurteilen oder Vorschriften zu machen, sondern sie hat einzig und allein das Ziel, gemeinsam nach der besten Lösung für den Patienten zu suchen.
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