„Wenn es Second Stage nicht gäbe, wäre ich zu meinem Mann zurückgegangen!“ So lautet das Resümee einer ehemaligen Second Stage Bewohnerin. Bei Second Stage handelt es sich um ein Angebot der Caritas Landshut, das Opfern von häuslicher Gewalt beim Übergang zwischen Frauenhausaufenthalt und Normalität sowohl Unterkunft als auch Unterstützung bietet. Zurzeit entscheidet die bayerische Staatsregierung über eine Verlängerung des Modellprojektes über 2022 hinaus. Ein Gespräch mit Diplom-Sozialpädagogin Godela Hovestadt von der Caritas Landshut, die in dem Projekt arbeitet.
Frau Hovestadt, Sie sind Diplom-Sozialpädagogin und arbeiten in dem Modellprojekt Second Stage in Landshut. Was ist die zentrale Aufgabe von Second Stage?
Godela Hovestadt: Second Stage ist ein Modellprojekt des bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales. Dieses Modellprojekt hat mehrere Ziele: Das erste Ziel ist eine Unterstützungsmöglichkeit für Frauen und deren Kinder anzubieten, die in ihrer Familie häusliche Gewalt erlebt haben und nach einem Frauenhausaufenthalt weitere psychosoziale Unterstützung brauchen - einerseits bei der Bewältigung der erlebten Gewalterfahrungen und andererseits beim Übergang in ein gewaltfreies Leben. Das ist der psychosoziale Aspekt. Ein weiteres Ziel liegt im Bereich der lebenspraktischen Unterstützung, wie beispielsweise Wohnungssuche und Existenzsicherung. Es gibt dazu verschiedene Konzepte. Das Projekt der Caritas Landshut hat beispielsweise trägereigene Wohnungen. Das bedeutet, dass Frauen und Kinder, die im Frauenhaus gewohnt haben, nach einer gewissen Zeit und nach der Abklärung bestimmter Kriterien in eine Second-Stage-Wohnung ziehen können. Wir hier bei Second Stage in Landshut haben fünf Wohnungen, in die Frauen einziehen können und in denen sie für eine begrenzte Zeit wohnen können.
Ein drittes Ziel ist, dass wir die Frauenhäuser akut entlasten, da es nämlich in allen deutschen und bayerischen Frauenhäusern Wartelisten gibt. Leider kann es aber nicht immer gewährleistet werden, dass Frauen und Kinder, die sich in einer akuten Notsituation befinden in einem wohnortnahen Frauenhaus untergebracht werden können. Die Second-Stage-Einrichtungen nehmen Frauenhausbewohnerinnen auf, die kein akutes Sicherheitsproblem mehr haben. Sie benötigen beispielsweise keine Anonymadresse mehr, da sie keine Angst mehr haben müssen, dass sie vom gewalttätigen Partner gefunden werden. Sie haben aber immer noch den unterstützenden Rahmen eines betreuten Wohnens.
Welche Vorteile bietet Second Stage für betroffene Frauen im Vergleich zum Frauenhaus?
Ein ganz wichtiger Vorteil, den die Frauen und vor allem die Kinder zu schätzen wissen, betrifft die Privatheit. Während der Zeit im Frauenhaus wohnen die Familien in einem Zimmer mit Bad und müssen sich dazu ein Gemeinschaftswohnzimmer und eine Küche mit den anderen Bewohnerinnen teilen. Im Gegensatz dazu haben die Klientinnen hier eigene Appartements mit Küchenzeile, Schlafzimmer und Wohnzimmer. Dort können Sie auch einfach mal die Tür zu machen.
Ein weiterer entscheidender Vorteil ist, dass sie wieder Besuch empfangen dürfen, da die Adressen nicht mehr anonym sind. Die Kinder dürfen auch zum Beispiel in der Schule sagen, wo sie wohnen. Im Frauenhaus ist das immer ein ganz heikles Thema. Außerdem haben sie einen eigenen Postkasten mit einer offiziellen Adresse. Das sind riesige Unterschiede zum Leben im Frauenhaus, wo alles anonym und verdeckt ist. Das ist dort auch notwendig, aber es schränkt das Leben natürlich sehr ein. Kinder dürfen Spielgefährden mit heimbringen und es können hier Kindergeburtstage gefeiert werden. Das geht im Frauenhaus zwar auch, jedoch nur unter den Bewohnern und deren Kindern.
„Grundsätzlich zeigt die Erfahrung, dass wir vor allem Frauen haben, die entweder sehr lang bleiben oder Frauen, die sehr kurz bleiben.“
Ab welchem Zeitpunkt ist es für Frauenhausbewohnerinnen empfehlenswert über einen Umzug in eine Second Stage Wohnung nachzudenken?
Einen Zeitpunkt kann man schlecht an einer Anzahl an Wochen festmachen, denn es gibt bestimmte Kriterien für einen Umzug. Das Wichtigste: Die Sicherheitslage muss zumindest weitestgehend geklärt sein. Das heißt, dass die Frau keine Angst mehr hat, dass sie vom Täter verfolgt wird. Das ist leider oft noch der Fall und solange es dafür noch Indizien gibt, ist ein Umzug hierher leider nicht möglich, da sich die Gefährdungslage durch die offizielle Adresse verstärkt. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, dass die Frau soweit selbstständig sein muss, dass sie alleine „wohnfähig“ ist. Das bedeutet, dass sie sich und ihre Kinder weitestgehend selbstständig versorgen kann, was für eine Frau in einer akuten Krisensituation nicht selbstverständlich ist. Dahingehend haben wir drei verschiedene Zielgruppen:
Die erste Zielgruppe sind Frauen, die aufgrund einer Bedrohungssituation ins Frauenhaus gekommen sind. Sie sind aber ansonsten in ihrem Leben weitestgehend selbstständig. Diese Frauen können nachdem die erste Krise abgeklungen ist und keine Gefährdung besteht, relativ kurzfristig zu uns umziehen.
Die zweite Zielgruppe sind Frauen, die nicht befürchten nach der Trennung vom Ehemann oder Partner gesucht, gestalkt oder bedroht zu werden. Diese Frauen müssen zwar dringend aus der Gewaltbeziehung fliehen, da sie zuhause durch Ihren Partner oder Ehemann durch Gewalt stark gefährdet sind. Wenn diese Frauen im Frauenhaus ankommen und sich bestätigt, dass sie nun durch den Partner oder Ehemann nicht mehr gefährdet sind und sie nicht mehr in einem Frauenhaus mit geheimer Adresse leben müssen, können sie relativ schnell ins Second Stage umziehen.
Die dritte Zielgruppe beinhaltet Frauen, die neben der häuslichen Gewalt noch eine Vielzahl anderer psychosozialer Probleme haben. Meistens gehen diese Hand in Hand mit wirtschaftlichen Problemen. Diese Frauen haben auf dem Wohnungsmarkt sogenannte Vermittlungshemmnisse. Häufig sind es alleinerziehende Frauen, die mehrere Kinder haben und deshalb auf lange Sicht auf Transferleistungen angewiesen sind. Sie haben des Öfteren, neben den Folgen der häuslichen Gewalt, Erkrankungen, die wir zwar nicht behandeln, aber immerhin abfedern können. Das können körperliche Erkrankungen, aber auch zu einem gewissen Grad schwere posttraumatische Belastungsstörungen aus der Gewaltsituation sein. Um die Frauen hier weiter gut unterstützen zu können, arbeiten wir zum Beispiel auch eng mit dem Bezirkskrankenhaus zusammen. Um an dieser Stelle Missverständnisse auszuschließen: Wir sind leider vom Personalschlüssel nicht ausgerichtet für psychisch kranke Frauen mit Gewalterfahrungen. Aber wir können Frauen mit leichten psychosomatischen Beeinträchtigungen oder beispielsweise einer posttraumatischen Belastungsstörung soweit unterstützen, indem wir Sie an die dafür entsprechenden Stellen im Helfernetzwerk anbinden, wodurch sie die notwendige Hilfe erhalten.
Diese drei Gruppen haben sich mit der Zeit nicht nur bei uns, sondern ebenfalls bei allen anderen Second-Stage-Einrichtungen im bayerischen Netz so herauskristallisiert, mit denen wir in regelmäßigem Erfahrungsaustausch stehen. Grundsätzlich zeigt die Erfahrung, dass wir vor allem Frauen haben, die entweder sehr lang bleiben oder Frauen, die sehr kurz bleiben.
„Wenn es Second Stage nicht gäbe, wäre ich zu meinem Mann zurückgegangen!“
Was ist Ihr ganz persönliches Erfolgserlebnis seit Beginn des Projektes?
Eine Frau, die mit ihren Kindern insgesamt neun Monate hier war und davor mehrere Monate im Frauenhaus verbracht hat, hat mir erzählt: „Wenn es Second Stage nicht gäbe, wäre ich zu meinem Mann zurückgegangen. Das Frauenhaus war eine gute Unterstützung, damit ich es aus dieser Beziehung rausgeschafft habe. Ich wusste jedoch nicht, wie ich für mich ein selbstbestimmtes Leben organisieren soll. Da gab‘s so viele Baustellen und wenn es Second Stage nicht gegeben hätte, wäre ich zu meinem Ex-Partner zurückgekehrt.“ Und genau dafür ist Second Stage auch gedacht. Mir haben mehrere Frauen bestätigt, dass sie die Anonymität und die eingeschränkten sozialen Kontakte nach ein paar Monaten Frauenhaus einfach mürbe gemacht haben. Mit Second Stage gehen sie aber den ersten Schritt in Richtung Normalität.
Zurzeit entscheidet die bayerische Regierung über eine Verlängerung des Projektes Second Stage über 2022 hinaus. Wie wichtig wäre eine Verlängerung für die Betroffenen und was würde sich für sie konkret verändern, wenn es nicht verlängert werden würde?
Aus praktischer Sicht ist es so, dass der Wohnungsmarkt immer angespannter wird. Es wäre sehr dramatisch, wenn es diese Ausweichmöglichkeit Second Stage nicht mehr gäbe, da die Verweildauer in den Frauenhäusern seit Jahren kontinuierlich länger wird und es nach wie vor zu wenig Frauenhausplätze gibt. Es würde also mehr Frauen und Kinder geben, die in akuten Notsituationen gelangen, weil sie keinen Frauenhausplatz bekommen. Statistiken haben gezeigt, dass Second Stage an dieser Stelle Entspannung liefert.
Der ethische Aspekt wäre, dass es in Deutschland leider immer noch als selbstverständlich gilt, dass die Frauen flüchten müssen, wenn es Gewalt in der Familie gibt. Es gibt zwar das Gewaltschutzgesetz, das besagt, dass derjenige, der schlägt, auch gehen muss, aber die Durchsetzung ist aufgrund unterschiedlicher gesetzlicher Hürden relativ schwierig. Wir haben Flüchtlingsfamilien, die nur das mitnehmen, was sie tragen können. Bei uns teilen sie sich dann die Gemeinschaftsräume, wie Küche, Wohnzimmer und Spielzimmer mit anderen Frauen und leben in einer beengten Situation. Sie dürfen nicht die Adresse des Frauenhauses nennen und keinen Besuch bekommen. Das ist für eine gewisse Zeit für die Frauen oft dringend erforderlich und kein Problem. Aber für einen längeren Zeitraum wird dies oft schwierig für die Frauen und es ist aus meiner Sicht eigentlich ein Unding, dass Opfer von häuslicher Gewalt hier zum zweiten Mal bestraft werden. Second Stage schafft hierzu einen gewissen Ausgleich, weil die Frauen nur so kurz wie möglich diesen sehr beengten Wohnverhältnissen ausgesetzt werden. Das ist keine Argumentation gegen die Frauenhäuser, da die wirklich eine fantastische Arbeit leisten, die auch ganz wichtig ist. Aber es ist ethisch geboten, die Situationen der Opfer so früh wie möglich so angenehm wie möglich zu gestalten. Das ist jetzt meine sehr persönliche Sicht. Ich komme selber aus der Frauenhausarbeit, aber das ist für mich ein Argument dafür, dass es neben dem Frauenhaus auch Second Stage geben sollte, nein, geben muss. Für mich gilt der Vergleich: Frauenhausarbeit ist die Arbeit in einem Akutkrankenhaus und Second Stage ist die Rehaklinik.
„Frauenhausarbeit ist die Arbeit in einem Akutkrankenhaus und Second Stage ist die Rehaklinik.“
Mal angenommen das Projekt wird über 2022 hinaus verlängert: Was sind die längerfristigen Ziele von Second Stage und in welche Richtung könnte es weitergehen?
Bisher besteht unser Team aus zwei Teilzeit-Sozialpädagoginnen. Wenn wir zusätzlich noch Erzieherinnen einstellen könnten, die gezielt mit den Kindern der Bewohnerinnen arbeiten, wäre das eine durchaus sinnvolle Erweiterung.
Was das Frauenhilfesystem insgesamt betrifft, bräuchten wir dringend Unterstützungseinrichtungen für Frauen mit psychischen Erkrankungen. Außerdem: Hier in Landshut sind wir zwar barrierefrei, aber das sind vermutlich nicht alle Second Stage Einrichtungen. Barrierefreiheit ist auf jeden Fall wichtig. Was wir auch gerne tun würden, wäre künftig enger mit den Beratungsstellen bei häuslicher und sexualisierter Gewalt zu kooperieren. So könnten wir Frauen, die nicht so akut gefährdet sind, aus den Beratungsstellen direkt aufnehmen. Das ist aktuell nicht möglich, denn dafür müsste sich etwas an der Finanzierung ändern. Aber das wäre ein gemeinsames Ziel von uns und den Beratungsstellen.
Interview: Moritz Stangl
Info: Das ist Second Stage
Projektstart: Januar 2020
15 Standorte bayernweit
Second Stage in Landshut beinhaltet fünf Wohnungen im selben Haus und ein Büro der angeschlossenen Beratungsstelle
Seit Beginn des Projektes wurden insgesamt 25 Frauen mit 33 Kindern untergebracht und betreut (15 Frauen davon konnten in eine eigene Wohnung vermittelt werden und zwei fanden eine Wohnmöglichkeit in ihrem familiären Netz)
Zwei Bewohnerinnen kehrten in ihre frühere Beziehung zurück
Zwei Bewohnerinnen konnten beim neuen Partner einziehen
Sechs Frauen mit insgesamt 13 Kindern wurden nach dem Auszug noch in die sozialpädagogische Nachbetreuung aufgenommen.
Aktuell befinden sich noch vier Bewohnerinnen im Second-Stage Aufenthalt
(Stand: August 2022)
Frauenhaus in Landshut:
Caritas Frauenhaus
Postfach 2512
84009 Landshut
Telefon: 0871 / 27 49 00
E-Mail: info@frauenhaus-landshut.de
Website: www.frauenhaus-landshut.de
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