Suchthilfe wirkt

23.09.2022


Suchthilfe wirkt

Für jeden Euro, der in Bayern in die ambulante Suchthilfe gesteckt wird, lassen sich 17 Euro an Folgekosten einsparen: Das ist das Ergebnis einer Studie, die Gesundheitsminister Klaus Holetschek vergangene Woche in der Caritas-Fachambulanz für Suchtprobleme in Regensburg vorstellte. Wie kamen die Studienergebnisse an? Interview mit Marion Santl, Leiterin der Caritas-Suchthilfe in der Diözese Regensburg.

Marion Santl, Leiterin der Caritas-Suchthilfe in der Diözese Regensburg, gemeinsam mit Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Fotos: H.C. Wagner
"Suchthilfe kann soziale Herausforderungen lösen und psychische Probleme abmildern."
Marion Santl, Leiterin der Caritas-Suchthilfe in der Diözese Regensburg

Auch die Caritas-Fachambulanzen im Bistum Regensburg waren an der vorgestellten Studie beteiligt. Welche Erkenntnisse ziehen Sie daraus?

Marion Santl: Die Studie war zweigeteilt. Im ersten Teil wurde die Wertschöpfung ermittelt, die sogenannte Sozialrendite oder, wie es im englischen Original heißt, der Social Return of Invest. Die These der Studie lautete, dass die ambulante Suchtberatung hohe Folgekosten vermeidet. Dass diese These bestätigt wird, hatten wir gehofft. Dass das Ergebnis so deutlich ausfällt, hat mich sehr überrascht. Der Social Return of Invest liegt bei 1 zu 17 – das ist enorm. Jeder Euro, der in die ambulante Suchthilfe investiert wird, vermeidet 17 Euro Folgekosten. Das zeigt ganz deutlich: Suchthilfe wirkt.

In der Studie ging es demnach um den ökonomischen Wert der ambulanten Suchthilfe. Welchen emotionalen Wert messen Sie der ambulanten Suchthilfe bei?

In der Studie wurden die vermiedenen Eskalationen berechnet, die mit einer Suchterkrankung einhergehen. Doch was steckt hinter den Zahlen? Suchthilfe verhindert drohende Eskalationen: beispielsweise psychische Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen, körperliche Folgen, negative soziale Folgen wie Verminderung gesellschaftlicher Teilhabe, Arbeitsplatzverlust, Fehlzeiten in der Arbeit, Schulden oder den Verlust der Wohnung. Die Suchthilfe vermeidet oder vermindert auch soziale Eskalationen in der Partnerschaft, in der Familie, im Freundeskreis. All das zieht Leid nach sich. Hier konnte man ganz klar feststellen, dass Suchthilfe soziale Herausforderungen lösen kann und psychische Probleme abmildert.

Pressekonferenz in der Caritas Fachambulanz für Suchtprobleme in Regensburg: Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (Mitte), Bezirketagspräsident Franz Löffler (li.) und Stefan Wolfshörndl, Vorsitzender des AWO-Landesverbandes Bayerns.
"In der Beratung schaffen wir eine Atmosphäre, in der sich die Klienten wohlfühlen, in der wir vorweg keine Bedingungen stellen. Wir arbeiten zieloffen und lassen uns auf Augenhöhe auf den Prozess mit den Ratsuchenden ein."
Marion Santl, Leiterin der Caritas-Suchthilfe in der Diözese Regensburg

Im zweiten Teil der Studie ging es um die Zufriedenheit der Klientinnen und Klienten und darum, wie die ambulante Suchthilfe bei ihnen wahrgenommen wird. Zu welchen Ergebnissen kam man?

Die Ergebnisse waren durchweg positiv. Es wurde uns mitgeteilt, dass die Ratsuchenden sehr zufrieden sind mit unserer Arbeit und dass sich deren Lebenszufriedenheit verbessert hat. In den zwölf Monaten, in denen die Studie erhoben wurde, gab es in keinem Fall eine Verschlechterung der Situation. Im Gegenteil: Die Klienten entwickelten Zuversicht. Zudem bescheinigten uns die Ratsuchenden einfühlsame Begegnungen auf Augenhöhe, eine gute Vertrauensbasis sowie Zufriedenheit mit den Räumen und den Zugängen zur Suchtberatung.

Die Studienergebnisse haben uns positiv bestärkt. Es ist wichtig, dass wir auf die Qualität unserer Arbeit schauen. Denn Abhängigkeit und riskanter Konsum sind nach wie vor ein großes Tabuthema – behaftet mit Stigmatisierung, Scham- und Schuldgefühlen. In der Beratung schaffen wir eine Atmosphäre, in der sich die Klienten wohlfühlen, in der wir vorweg keine Bedingungen stellen. Wir arbeiten zieloffen und lassen uns auf Augenhöhe auf den Prozess mit den Ratsuchenden ein.

"Das Ziel der Suchthilfe ist, Leid und gesellschaftliche Kosten früh zu vermeiden und Gesundheit zu erhalten."
Marion Santl, Leiterin der Caritas-Suchthilfe in der Diözese Regensburg

Bayern Gesundheitsminister Klaus Holetschek stellte in Regensburg auch die neue Online-Plattform „DigiSucht“ vor. Ab wann und wie wird die Caritas-Suchthilfe die vorgestellte Plattform nutzen?

Onlineberatung ist für uns nichts Neues. Wir beteiligen uns seit 15 Jahren an der Caritas-Onlineberatung. Mit der neuen Plattform kann dieses Angebot nun ergänzt werden. ‚DigiSucht‘ startet in Bayern zunächst in drei Modellberatungsstellen, in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 können sich alle beteiligen. Über die Plattform können Beratungsstellen gefunden, Termine vereinbart, Chat- oder Videoformate angeboten werden. Zudem wird das Suchthilfeangebot mit digitalen Tools erweitert wie einem Suchttagebuch oder einem ‚Notfallkoffer‘ mit konkreten Handlungsstrategien zur Bewältigung von Rückfällen. ‚DigiSucht‘ ist eine Ergänzung im Angebot. Es soll den persönlichen Kontakt an der Beratungsstelle nicht ersetzen, sondern Hilfe schnell ermöglichen. Das Ziel ist auch hier, Leid und gesellschaftliche Kosten früh zu vermeiden und Gesundheit zu erhalten.

"Das optimale Beratungssetting ist eine Mischform aus digitalen und analogen Angeboten und Methoden. Wesentlich ist, dass sie individuell zu dem einzelnen Ratsuchenden passen und dass er leicht Zugang findet."
Marion Santl, Leiterin der Caritas-Suchthilfe in der Diözese Regensburg

Wie sieht für Sie das optimale Beratungssetting aus?

Das optimale Beratungssetting ist eine Mischform aus digitalen und analogen Angeboten und Methoden. Wesentlich ist, dass sie individuell zu dem einzelnen Ratsuchenden passen und dass er leicht Zugang findet. Das kann ganz klassisch ablaufen: Der Ratsuchende vereinbart telefonisch einen Termin und kommt dann persönlich in die Beratung. Es kann aber auch sein, dass er oder sie per Chat oder E-Mail Kontakt aufnimmt. Hier müssen verschiedene Zugangswege möglich sein. Im optimalen Fall wechseln sich Präsenztermine mit digitalen Kontakten ab. Manchmal braucht der Klient nur eine Information. Das ist über E-Mail machbar. Wenn es darum geht, persönliche Themen zu besprechen, eignet sich ein direktes Gespräch besser. Falls wegen weiter Anfahrtswege eine persönliche Beratung schwierig ist, kommt die Videoberatung ins Spiel. Gerade im ländlichen Raum ist sie für Ratsuchende manchmal die einzige Möglichkeit, leicht eine Beratung in Anspruch zu nehmen.

Wo steigen aktuell die Bedarfe in der Suchthilfe und wie wird diesen begegnet?

Wir arbeiten seit einigen Jahren auf einem sehr hohen Niveau: In der Diözese beraten wir etwa 5000 Ratsuchende im Jahr, davon allein in Regensburg mehr als tausend Klienten und Klientinnen. Dass die Zahl auf diesem hohen Niveau bleibt und nicht weiter steigt, liegt daran, dass unsere Kapazitäten ausgereizt sind. Denn die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen belasten natürlich auch unser Klientel enorm. Da kommen wir unserem Versorgungsauftrag kaum nach.

Wenn wir auf die verschiedenen Süchte blicken, stellen wir einen starken Anstieg beim exzessiven Medienkonsum fest. Das kann Online-Glücksspiel sein, Gaming und Gambling. Es geht aber auch oft um die reine Bildschirmzeit, um exzessiven Social-Media-Konsum oder das schier endlose Nutzen von Streaming-Diensten. Auch der Konsum von Pornografie im Internet hat in der Corona-Pandemie extreme Ausmaße angenommen.

Wir begegnen dem steigenden Hilfebedarf, indem wir uns ständig fortbilden, vernetzen und Wissen teilen. Nur so leisten wir qualitativ hochwertige Arbeit. Und nur so ist auch in Zukunft jeder Cent in die Suchthilfe gut investiert.

Zusatzinfo: Das ist die Caritas Suchthilfe in der Diözese Regensburg

Die Suchthilfe ist einer der ältesten Bereiche im 100-jährigen Bestehen des Diözesan-Caritasverbandes Regensburg. Sie bildet im Caritas Suchthilfeverbund Ostbayern ein Netzwerk aus stationärer Suchthilfe (Fachklinik Haselbach und Adaptionseinrichtung START), der Selbsthilfevereinigung Kreuzbund und den ambulanten Einrichtungen. Diese bestehen aus 12 Fachambulanzen für Suchtprobleme.

Ratsuchende rund um das Thema Konsum und Abhängigkeiten werden hier fachlich und individuell beraten. Das Angebot umfasst die Bereiche Alkohol, Medikamente, illegale Substanzen sowie alle Verhaltenssüchte (z.B. pathologisches Glücksspiel, exzessiver Medienkonsum, Essstörungen usw.). Sowohl Betroffene als auch Angehörige und Personen aus dem sozialen Umfeld finden hier eine Anlaufstelle. 2021 wurden in den Beratungsstellen rund 5.000 Ratsuchende beraten und begleitet. Die insgesamt 28.175 Kontakte fanden persönlich, telefonisch sowie online über die Beratungsplattform der Caritas statt (Die Online-Beratung der Caritas).

Die Einrichtungen bieten ein breites Kompetenz-Spektrum an: Neben der Informationsvermittlungen zum Konsum, erhalten Ratsuchende Unterstützung bei der Auswahl und Vermittlung in Entgiftungen und Fachkliniken ebenso wie Kontakt zu anderen Institutionen und Behörden. Zu den Angeboten vor Ort zählen Einzelberatung, Selbsthilfegruppen, Kurse und Gruppensitzungen - kostenfrei, freiwillig, konfessionsungebunden und auf Wunsch auch anonym.

Ein großes Anliegen der Beratungsstellen ist es, die Klientinnen und Klienten hin zu einer zufriedenen Lebensführung und selbstbestimmten Verhaltensweisen zu begleiten, auf Wegen in die Unabhängigkeit. Daher ist die Beratung stets an der individuellen Lebenssituation orientiert, zieloffen und lösungsorientiert.

Kontakt:

Marion Santl
Leitung Fachambulanz Regensburg
Referatsleitung Ambulante Suchthilfe & Sozialpsychiatrie

Telefon: 09 41 / 6 30 82 70
m.santl@caritas-regensburg.de

Fachambulanz für Suchtberatung
Hemauerstraße 10c

93047 Regensburg

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