„Eigentlich weiß ich nicht, wie wir das überlebt haben: die erste Welle, ohne Schutz und Ahnung vom pandemischen Ausmaß."
Wer an den ersten Lockdown zurückdenkt, erinnert sich vielleicht an Stille. Leere Straßen. Leere Cafés. Leere Schulen und Kindergärten. Und vermutlich hat jeder, der zurückblickt, auch Medienbilder von Intensivpatientinnen und Intensivpatienten vor Augen. Und von Pflegekräften, die in Krankenhäusern alles tun, um deren Leben zu retten.
Wer aber denkt zurück und erinnert sich an das Leben in Deutschlands Altenheimen? Wissen wir, wie es den Alten dort erging? Und wie den Pflegenden? Zwei Jahre nach dem ersten Lockdown, aber noch immer in der Corona-Krise, haben wir nachgefragt:
„Eigentlich weiß ich nicht, wie wir das überlebt haben: die erste Welle, ohne Schutz und Ahnung vom pandemischen Ausmaß", sagt Eva Gerst-Seidl, Leiterin des Caritas Alten- und Pflegeheims St. Marien in Erbendorf.
„Dieses Virus traf uns mit voller Wucht. Das Ausmaß erahnten wir nicht mal ansatzweise. Im Nachhinein war es wahrscheinlich gut so. Hätten wir gewusst, was da auf uns zukommt, wäre es nicht zu ertragen gewesen", sagt Stefanie Schricker, Leiterin des Caritas Alten- und Pflegeheims St. Martin in Neustadt an der Waldnaab.
„Bald demonstrierten auf einer Wiese gegenüber unseres Altenheimes erstmals Corona-Gegner. Deren Thema war Selbstbestimmung und Freiheit, sie kritisierten die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Wenige Meter entfernt, in unserem Heim, arbeiteten unsere Pflegenden in Doppelschichten, viele verzichteten auf ihre freien Tage, arbeiteten 14 Tage durch", sagt Stephan Priller, Leiter des Caritas Alten- und Pflegeheims Geschwister-Lechner-Haus in Vilsbiburg.
„Dieses Virus traf uns mit voller Wucht. Das Ausmaß erahnten wir nicht mal ansatzweise. Im Nachhinein war es wahrscheinlich gut so. Hätten wir gewusst, was da auf uns zukommt, wäre es nicht zu ertragen gewesen."
Zwei Jahre nach dem ersten Lockdown blicken zwei Heimleiterinnen und ein Heimleiter zurück (v.li.): Eva Gerst-Seidl, Stefanie Schricker und Stephan Priller. Fotos: privat
„Bald demonstrierten auf einer Wiese gegenüber unseres Altenheimes erstmals Corona-Gegner. Deren Thema war Selbstbestimmung und Freiheit, sie kritisierten die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Wenige Meter entfernt, in unserem Heim, arbeiteten unsere Pflegenden in Doppelschichten, viele verzichteten auf ihre freien Tage, arbeiteten 14 Tage durch."
Für Altenpflegerinnen und Altenpfleger waren die Arbeitslast und die Herausforderungen nie größer als zu den Wellen der Corona-Pandemie. In Erbendorf hatten manche Mitarbeitenden gar Furcht, dass sie „wie in einem schlechten Kinofilm“ das Altenheim nicht mehr verlassen dürften und deponierten in ihrem Spind Ersatzwäsche, Handyladegerät und Zigaretten, wie die Heimleiterin Eva Gerst-Seidl erzählt.
In Neustadt an der Waldnaab starben im April 2020 die ersten Bewohner. Die Bestatter betraten in voller Schutzmontur das Altenheim und packten die verstorbenen Bewohner in Plastiksäcke mit der Aufschrift Covid 19, erinnert sich die Heimleiterin Stefanie Schricker. „Meine Betroffenheit ließ mich nur noch in Tränen ausbrechen – das erste Mal seit Beginn dieses Wahnsinns. Bis dato hatte ich nur funktioniert. Wie alle meine Kolleginnen und Kollegen.“
In Vilsbiburg spielten sich teils absurde Situationen ab, „die das Leben in Extremsituationen offenbar schreibt“, wie Heimleiter Stephan Priller sagt. Bei einer Sterbenden seien beide Töchter angerufen und eingeladen worden, ihre Mutter noch ein letztes Mal zu besuchen. Die eine ging gerne auf das Angebot ein – allerdings unter der Bedingung, dass kein Kontakt-Datenblatt erstellt werde, "schlimm genug, dass meine Mama für die Corona-Lüge als statistische Zahl herhalten muss". Die andere lehnte einen Besuch ab, mit den Worten: "Wollt ihr, dass auch ich an dem Scheiß sterbe?"
Groteske Situationen, Gefühle der Ohnmacht und akute Personalnot: Die Mitarbeitenden der Altenhilfe sind in der Corona-Pandemie teils über ihre eigenen Belastungsgrenzen hinausgegangen. Und doch gab es auch in den anstrengendsten Phasen Lichtblicke und Momente der Hoffnung:
„Was uns in dieser Zeit geholfen hat, war: nicht sprachlos werden, sondern sich gegenseitig zuhören, den Anderen ausreden lassen und ernstnehmen“, sagt Eva Gerst-Seidl. „Zur seelischen und geistigen Stärkung haben wir Gottesdienste im Freien organisiert und mitgestaltet. Dabei ging es vor allem um das Vermitteln von Hoffnung und Zuversicht und darum, wieder nach vorne zu blicken: weg von Corona und hin zu Dingen, die Sicherheit und Zufriedenheit geben, sei es die Natur, das eigene Zuhause, die Familie oder das Team.“
Der Vilsbiburger Heimleiter Stephan Priller tankte in dieser Zeit vor allem Kraft bei seiner Familie: "Dank meiner Familie und deren unaufgeregtem Da-Sein habe ich die ganzen Monate ohne Fehlzeiten durchgehalten." Und Stefanie Schricker sagt: „Trotz allem konnte ich immer auf mein Team bauen. Jeder, der gesundet war, kam so schnell wie möglich zurück. Ich ziehe vor jedem einzelnen meiner Kolleginnen und Kollegen den Hut: vor deren Selbstlosigkeit, deren Verantwortungssinn, deren Nächstenliebe.“
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