„Mittendrin. Leben mit Demenz“ lautete in diesem Jahr das Motto der ökumenischen „Woche für das Leben“. Zum Abschluss der Aktionswoche veröffentlichen wir ein Interview mit dem Demenz-Experten Erich Schützendorf. Er hat das Buch "Anderland" geschrieben: ein Reiseführer in die Welt von Menschen mit Demenz.
"Der Verstand schwindet, Gefühle aber werden nicht dement."
"Auch ohne kognitive Fähigkeiten kann ein Mensch ein lebenswertes Leben führen."
Anderland – wo liegt das?
Erich Schützendorf: Anderland liegt leicht verrückt neben Normalien. Eine Grenze, die Verstand heißt, trennt die beiden Länder voneinander. In Anderland leben die Menschen mit Demenz.
Wie gelange ich als ‚Normalier’ dorthin?
Schützendorf: Wichtig ist zunächst, dass Sie sich von den Werten trennen, die in Normalien herrschen: zielgerichtetes Handeln und rationales Denken. In Anderland gibt es das Recht auf unvernünftige Selbstbestimmung.
Was ist nötig, damit ich einen guten Aufenthalt habe?
Schützendorf: Wer nach Anderland reist, schlüpft am besten in die Rolle eines Völkerkundlers – nicht in die eines Eroberers. Der Reisende ist ein Gast, der sich auf eine fremde Welt einlässt und sie verstehen möchte. Man muss aber wissen, dass es in Anderland auch reißende Flüsse gibt, in denen man untergehen kann. Jeder, der einreist, braucht ein Rettungsboot, in dem er zurück nach Normalien rudern kann. Das Rettungsboot ist die Gewissheit: Ich kann und muss nicht immer dort sein, beispielsweise bei meinen Angehörigen – ich brauche Normalien.
Wie gelingt die Kommunikation in Anderland?
Schützendorf: Je länger die Menschen mit Demenz bereits dort sind, desto weniger gelingt eine Verständigung über Sprache. Die Sprache ist das Transportmittel des Verstandes. Der Verstand schwindet, Gefühle aber werden nicht dement. Über unsere Gestik und Mimik und über Berührungen gelingt die Kommunikation mit Menschen mit Demenz eher als über Worte. Wer innehält und staunt statt redet und agiert, wird merken, in welcher Gefühlslage die Menschen sind und was ihnen gerade guttut.
Sie sind in ihrem Leben oft nach Anderland gereist. Was haben Sie von dort mitgebracht?
Schützendorf: Ich habe gelernt, dass der Verstand nicht alles ist, was einen Menschen ausmacht. Natürlich, der Verstand ist wichtig. Doch Demenz ist nicht das Schreckgespenst, wofür es viele halten. Auch ohne kognitive Fähigkeiten kann ein Mensch ein lebenswertes Leben führen.
Erich Schützendorf, Autor und Demenz-Experte Foto: privat
Buchtipp:
Erich Schützendorf: Anderland entdecken, erleben begreifen – ein Reiseführer in die Welt von Menschen mit Demenz, Reinhardt-Verlag, 2019.
Die Arbeit der Caritas mit Menschen mit Demenz:
Die Caritas Wohnen und Pflege gGmBH betreibt im Bistum Regensburg mehr als 50 Alten- und Pflegheime. Unter den Bewohnerinnen und Bewohnern gibt es zahlreiche Menschen mit Demenz. Die Caritas pflegt nicht nur die Betroffenen, sondern ermutigt auch die Angehörigen zum positiven Umgang mit Demenz. Das Caritas Alten- und Pflegeheim Marienheim in Regensburg ist eines von wenigen Einrichtungen in ganz Deutschland, das sich auf die Pflege von Demenzkranken spezialisiert hat. Auch in der Tagespflege der Caritas-Sozialstationen werden Menschen mit Demenz betreut und so die Angehörigen entlastet.
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