„Wir müssen Pflege neu denken“

04.10.2022


„Wir müssen Pflege neu denken“

Pflege kann man seit 2020 auch als Bachelor of Science studieren. Die ersten Absolventinnen und Absolventen wird es im Frühjahr 2024 geben. Welche Aufgaben übernehmen die akademisierten Pflegekräfte? Interview mit Angelika Schebelle, Vorsitzende des Caritasverbandes Straubing-Bogen

Angelika Schebelle hat Pflegemanagement studiert und lange Zeit als Pflegefachkraft gearbeitet. Seit Anfang des Jahres ist sie Vorsitzende des Caritasverbandes Straubing-Bogen. Foto: Caritas Straubing
"Wir müssen uns wirklich etwas überlegen, damit wir die Pflegebedürftigen in Zukunft noch versorgen können."
Angelika Schebelle, Vorsitzende des Caritasverbandes Straubing-Bogen

Sie haben im Juli 2022 berufsbegleitend das Studium Pflegemanagement abgeschlossen. Ihre Abschlussarbeit ist für den Alice-Eckl-Pflegepreis nominiert. Das ist ein Preis für innovative wissenschaftliche Arbeiten, die Pflege fördern und voranbringen. Worum geht es in Ihrer Abschlussarbeit?

Angelika Schebelle: Der Titel lautet: „Die Integration von Bachelorabsolventinnen der Pflege in die Langzeitpflege“. Seit 2020 gibt es das Pflegestudium als bundesweit einheitlichen Bachelorstudiengang, die ersten Absolventinnen haben wir im Frühjahr 2024. Welchen Mehrwert bringen sie für die Langzeitpflege in der Altenhilfe? Bislang gibt es dort kaum akademisierte Mitarbeitende.

Weshalb ist der neue akademische Weg in die Pflege erforderlich?

Die Langzeitpflege hat sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren enorm verändert. Wir sind mehr und mehr mit multimorbiden alten Menschen konfrontiert, die komplexe Krankheitsbilder mitbringen. Wir brauchen somit eine hochqualifizierte Pflege. Zudem trifft eine steigende Zahl Pflegebedürftiger auf eine sinkende Zahl Erwerbstätiger. Wir müssen uns wirklich etwas überlegen, damit wir die Pflegebedürftigen in Zukunft noch versorgen können. Wir müssen Pflege neu denken.

Das Caritas Alten- und Pflegeheim Marienstift in Straubing: In der Langzeitpflege müssen in Zukunft mehr Pflegehilfskräfte arbeiten, ist Angelika Schebelle überzeugt. Diese brauchen gute Anleitung, Begleitung und Beratung - durch eine akademisierte Pflegekraft. Foto: Caritas Straubing
"Wir brauchen eine hochqualifizierte Pflege."
Angelika Schebelle, Vorsitzende des Caritasverbandes Straubing-Bogen

Wie sieht die Pflege der Zukunft also aus?

Im ambulanten Bereich wird es vielmehr dahingehen, Angehörige oder Zugehörige, das können auch Nachbarn sein, zu beraten und zu befähigen, zu Hause selbst zu pflegen. Zu Anfang eines Pflegefalls wird man ganz viel unterstützen, ganz viel in den Haushalten sein - aber dann zunehmend die Leute befähigen, vieles selbst zu übernehmen. 

Im stationären Bereich wird man vermehrt mit Pflegehilfskräften zusammenarbeiten. Diese Pflegehilfskräfte brauchen eine gute Anleitung und Betreuung. Fachschulisch ausgebildete Pflegekräfte können das nicht leisten. Da braucht es pro Station oder pro Einrichtung akademisierte Pflegekräfte, die die Anleitung und Steuerung von diesen Pflegeprozessen übernehmen. Dafür sind Kompetenzen erforderlich, die die jungen Menschen im Studium erlernen.

Welche Kompetenzen sind das?

Akademisierte Pflegekräfte haben mehr kommunikative Kompetenzen. Das ist ganz wichtig für die Beratung von Angehörigen und für die kollegiale Begleitung von Pflegehilfskräften oder Pflegefachkräften, wenn sie in Situationen überfordert sind. Zudem haben sie im Studium gelernt, ihr eigenes Tun zu reflektieren und zu überdenken. Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die unsere Pflegepraxis bereichern? Welche Wechselwirkungen haben verabreichte Medikamente? Solche Fragen gilt es zu reflektieren und fachlich zu bewerten.

"So wie bislang kommen wir nicht weiter. Es ist wichtig, eine Vision zu vermitteln."
Angelika Schebelle, Vorsitzende des Caritasverbandes Straubing-Bogen

Wie lässt sich ein solches Konzept einführen und umsetzen?

In meiner Abschlussarbeit zeige ich auf, welchen Weg man als Einrichtung gehen muss (siehe Infokasten „Die sechs Schritte der Implementierung“). Das lässt sich natürlich nicht von heute auf morgen umsetzen. Es geht um eine tiefgreifende Organisationsentwicklung. Das ist ein langer Prozess, den wir nur gemeinsam schaffen. Sicherlich müssen die Leitungskräfte mit Widerständen rechnen. Diese lassen sich aber überwinden. Es geht auch darum, die Dringlichkeit aufzuzeigen. So wie bislang kommen wir nicht weiter. Es ist wichtig eine Vision zu vermitteln. Und ganz konkret ist es wichtig, akademisierte Pflegekräfte auch tatsächlich für die Altenpflege zu gewinnen.

Wie schafft man das?

Indem wir attraktive Arbeitsplätze schaffen. Das Pflegeteam der Zukunft zeichnet sich durch einen Qualifikationsmix aus: Da gibt es Betreuungspersonen und Pflegehilfskräfte, da gibt es berufsfachschulisch ausgebildete Pflegefachpersonen und nun auch die hochschulisch ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen. Der Mix an Qualifikationen ist ein enormer Kompetenzgewinn. Die Handlungsfelder müssen klar definiert sein und die Mitarbeitenden sich mit ihrer Rolle identifizieren können. Die akademisierte Leitung ist nicht die Pflegedienstleitung und nicht die Wohnbereichsleitung, aber die fachliche Leitung in einem Haus oder auf einer Station. Hier den Hut aufzuhaben und vorzugeben, wie die Pflege auszuführen ist – das schafft Attraktivität.

Wie wollen Sie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse konkret in die Praxis umsetzen?

Ich möchte im kommenden Jahr das neue Konzept in einer Modellstation – voraussichtlich einer ambulanten Pflegestation der Caritas Straubing – ausprobieren. Im ersten Schritt wird die Pflegedienstleitung ihre Mitarbeitenden für die neuen Ideen gewinnen müssen. Im zweiten Schritt müssen wir eine Bachelorabsolventin zu uns holen. Dann beobachten und begleiten wir den Prozess ein Jahr lang und fragen abschließend: Gibt es den theoretischen Mehrwert tatsächlich in der Praxis?

Zusatzinfo 1: Die sechs Schritte der Implementierung

1.       Ermitteln aller Prozessbeteiligten und einzelner Promotoren (überzeugte MitarbeiterInnen)

2.       Ziele festlegen, Problemfelder und Bedarfe für die neue Rolle identifizieren

3.       Rolle der akademisierten Pflegekraft ableiten und Aufgabenfelder festlegen

4.       Maßnahmen zur Umsetzung planen, hinderliche und fördernde Faktoren berücksichtigen

5.       Geplante Maßnahmen umsetzen

6.       Evaluierung der eingeführten Stelle und Handlungsfelder 

Zusatzinfo 2: Bachelorstudiengang Pflege

Den Bachelorstudiengang Pflege kann man an der Technischen Hochschule Deggendorf sowie an der Ostbayerischen Hochschule Regensburg studieren. Weitere Informationen dazu gibt es hier:

Bachelor Pflege - Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg (oth-regensburg.de)

Pflege, B.Sc. | THD (th-deg.de)

Aufgaben- und Einsatzbereiche von Pflegefachkräften mit Hochschulabschluss: Unter diesem Titel fand auch Workshop 5 beim Altenhilfe-Kongress im Mai in Regensburg statt. Angelika Schebelle war als Expertin und Diskussionsteilnehmerin dabei, ebenso Silvia Haseneder, Referentin für Ausbildung beim Caritasverband Regensburg. Den Impulsvortrag hielt Prof. Dr. Doris Eberhardt (Bild in der Mitte): Sie ist Pflegepädagogin und Gesundheits- und Pflegewissenschaftlerin und seit 2017 Professorin an der TH Deggendorf. An der TH Deggendorf kann man den neuen Bachelorstudiengang „Pflege“ studieren, genauso an der OTH Regensburg.

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