„Wir haben immer Individuen vor uns, nie die Vertreter einer Kultur“

15.11.2022


„Wir haben immer Individuen vor uns, nie die Vertreter einer Kultur“

Am Samstag, 19. November, veranstaltet die Gemeindecaritas einen Workshop zum Thema „Interkulturelle Kommunikation“. Ein Gespräch mit der Seminarleiterin Gesine Mahnke, freiberufliche Trainerin für interkulturelle Kompetenz

"Wir haben immer Individuen vor uns, nie die Vertreter einer Kultur", sagt Gesine Mahnke, freiberufliche Trainerin für interkulturelle Kompetenz. (Foto: unsplash.com/brillo)

Es ist 10.04 Uhr. Wir waren um 10 Uhr zum Interview verabredet. Entschuldigen Sie, bitte, meine Verspätung. Es heißt ja, die Deutschen legen Wert auf Pünktlichkeit.

Gesine Mahnke: Ja, das stimmt. Wären Sie eine Südamerikanerin, hätte ich nicht vor 11 Uhr mit Ihnen gerechnet (lacht). Aber Scherz beiseite. Tatsächlich driftet vermeintliche kulturelle Kompetenz leicht in Klischeedenken ab. Es ist es zwar wichtig zu wissen, welche Erwartungshaltung in einem bestimmten kulturellen Kontext herrscht. Denn das reduziert Missverständnisse. Doch muss gerade beim Thema „Interkulturelle Kompetenz“ klar sein: Wir haben immer ein Individuum vor uns, nie den Vertreter oder die Vertreterin einer Kultur. Ich habe eine Freundin mit ungarisch-italienischen Wurzeln. Sie mag es überhaupt nicht, wenn man sie fragt: Wie machen Sie das als Italienerin? Sie will als Person wahrgenommen werden, nicht als Italienerin oder als Ungarin oder als Deutsche. Wir sollten nicht den Fehler machen, unser Gegenüber auf den Herkunftsort zu reduzieren. Kultur und kulturelle Prägungen sind deutlich komplexer. 

Was ist Kultur? Ein buntes Haus, das wir bewohnen? "Kultur sind unbewusste Prägungen", sagt Gesine Mahnke. (Foto: unsplash.com/jang)

Was ist Kultur?

Es gibt hunderttausend Definitionen. Ich würde sagen, Kultur ist ein unbewusstes Regelwerk aus Werten, Normen und Verhaltensweisen, das uns prägt. Diese Prägungen werden uns erst bewusst, wenn wir uns aus unserer Gemeinschaft entfernen. Ich reiste mit Anfang 20 für vier Monate durch Westafrika. Wie viele Deutsche dachte ich damals: Ich bin nicht typisch deutsch. Tja, dem war nicht so. Als ich merkte, welche Erwartungen ich an bestimmte Abläufe habe, trat deutlich zutage, dass ich sehr wohl deutsch ticke. Wenn man zwei Wochen irgendwo festsaß, brachte das niemanden, abgesehen von uns Deutschen, aus der Ruhe. Man lud uns zum Tee und zum Essen ein, alles ganz normal. Seither lässt mich das Thema unserer kulturellen Prägungen und damit einhergehender Missverständnisse oder gar Konflikte nicht mehr los.

Zu interkulturellen Konflikten kommt es, wenn…

…unbewusste Selbstverständlichkeiten, also unsere kulturellen Prägungen, aufeinanderprallen. Hintergrundwissen macht solche Konflikte vorhersehbar und dadurch vermeidbar. 

Gesine Mahnke, Diplom-Psychologin und freiberufliche Trainerin für interkulturelle Kompetenz (Foto: Mahnke)

Ich arbeite mit einer Kollegin zusammen, die aus Russland stammt. Was muss ich wissen, damit unsere Zusammenarbeit konfliktfrei verläuft?

Sie sollten sich nicht auf das Herkunftsland Ihrer Kollegin fokussieren. Sondern Sie sollten sich über Ihre eigenen Prägungen bewusst sein. Was erwarten Sie? Pünktlichkeit, ein Lächeln oder ein „Danke“? Wo erfüllt mein Gegenüber meine Erwartungen und wo nicht? Woran liegt das? Wer in meine Seminare kommt, lernt, die eigene Kultur zu reflektieren. Wir machen unsere kulturellen Muster und Erwartungshaltungen sichtbar. Offenheit reicht in interkulturellen Kontexten nicht aus. Wir brauchen Hintergrundwissen zu kulturellen Dynamiken. Damit können wir Konfliktsituationen erkennen und deuten und Strategien entwickeln, um sie zu lösen.

Sie beschäftigen sich seit etwa drei Jahrzehnten mit dem Thema „Interkulturelle Kommunikation“. Wenn Sie nur eine Sache nennen dürfen, die Sie in dieser Zeit gelernt haben – welche ist das?

Ich weiß, dass ich nichts weiß. Und dennoch habe ich keine Angst vor Begegnung.

Zur Person: Gesine Mahnke, geboren 1967 in Hamburg, ist Diplom-Psychologin und freiberufliche Trainerin für Interkulturelle Kompetenz.

Workshop "Interkulturelle Kommunikation" mit Gesine Mahnke im Caritas Beratungszentrum St. Gabriel (Grafik: Caritas Regensburg/Carla Schäfer)

Zusatzinfo: Workshop „Interkulturelle Kommunikation“ im Caritas Beratungszentrum St. Gabriel

Der Workshop findet am Samstag, 19. November, im Caritas Beratungszentrum St. Gabriel statt. Die Veranstaltung vermittelt Hintergrundwissen über zentrale Kulturunterschiede und versetzt die Teilnehmenden in die Lage, die Denk- und Verhaltensweise von Menschen verschiedenster kulturellen Herkunft zu verstehen und dieser kulturellen Vielfalt zu begegnen.

Es geht um die Themen Kultur, multikulturelle Gesellschaft und Werte sowie Lösungsstrategien im interkulturellen Umgang.  Zentrale Fragen des Seminars sind:

»   Wie kommt es trotz guten Willens zu gegenseitigem Unverständnis und zu interkulturellen Konflikten?

»   Wie wirkt sich die eigene kulturelle Prägung auf den Umgang mit anderen Menschen aus?

»   Wie kann ich Konfliktsituationen frühzeitig erkennen oder vermeiden? 

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